ARB 2000 § 18
Leitsatz
1. Der Stichentscheid des Rechtsanwalts gem. § 18 ARB 2000/§ 17 ARB 75 darf sich darauf beschränken, sich mit den Argumenten auseinander zu setzen, auf die der VR seine Deckungsablehnung gestützt hat.
2. Der VR ist gehalten, in seiner Deckungsablehnung alle Gründe anzuführen, warum er keinen Rechtsschutz gewähren will. Ist der Stichentscheid durch den Rechtsanwalt erfolgt, ist ein Nachschieben von weiteren Ablehnungsgründen nicht mehr möglich.
OLG Hamm, Urt. v. 14.10.2011 – 20 U 92/10
Sachverhalt
Der Kl verlangt von der Bekl., seinem Rechtsschutzversicherer, Deckung für die Kosten eines Rechtsstreits, in dem er Ansprüche aus einem Unfallversicherungsvertrag geltend gemacht hatte. Er hatte am 26.4.2007 einen Herzinfarkt erlitten. An diesem Tag hatte er an einer mehrstündigen Betriebsratssitzung teilgenommen und danach noch gearbeitet. Abends und nachts verstärkten sich Kieferschmerzen; am nächsten Tag wurde ein Herzinfarkt festgestellt.
Der Kl. hatte zunächst unter Berufung auf diesen Herzinfarkt eine Invaliditätsentschädigung in voller Höhe der Versicherungssumme erhoben. Die Bekl. hatte eine Kostenübernahme abgelehnt, weil eine Betriebsratssitzung, auf deren Verlauf der Kl. sein Begehren stützte, kein von außen kommendes Ereignis sei. Die auf Hinweis der Bekl. von ihm um einen Stichentscheid gebetenen Rechtsanwälte folgten ihm.
2 Aus den Gründen:
"… I. Die Bekl. ist zur Gewährung von Deckungsschutz für den Unfallversicherungsprozess aufgrund des Rechtsschutzversicherungsvertrages verpflichtet. Das LG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Bekl. an den Stichentscheid v. 2.3.2009 gebunden war … und die Klage auch der Höhe nach hinreichende Aussicht auf Erfolg besaß …"
II. Die Bekl. ist aufgrund des Stichentscheids v. 2.3.2009 in der Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage gebunden, denn dieser bejaht mit vertretbarer und nicht offenbar von der wirklichen Sach- und Rechtslage abweichender Begründung die Erfolgsaussichten der Klage.
1. Nach § 1 ARB 75/2000 trägt der VR die Kosten für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherten. Hat der VR – wie hier – den Deckungsschutz bzw. die Kostenübernahme abgelehnt, so kann der VN das Stichentscheidverfahren gem. § 17 ARB 75 bzw. § 18 ARB 2000 durchführen. Der Stichentscheid muss nicht in jedem Fall eine umfassende Prüfung der Sach- und Rechtslage beinhalten und die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage in allen Einzelheiten prüfen. Der Stichentscheid darf sich vielmehr darauf beschränken, auf die Argumente einzugehen, die zwischen VR und VN im Streit sind und auf die der VR seine Ablehnung gestützt hat (OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.9.2005, 4 U 164/04, juris Tz. 23; OLG Frankfurt, Urt. v. 9.7.1997, 7 U 210/96, juris Tz. 7 … ). Dies bedeutet umgekehrt für den VR, dass er in seiner Ablehnungsentscheidung alle Gründe anführen muss, warum er keinen Rechtsschutz gewähren will. Räumt der vom VN beauftragte Rechtsanwalt die vom VR ins Feld geführten Ablehnungsgründe aus, ohne dass der Stichentscheid von der Sach- und Rechtslage erheblich abweicht, dann ist dieser Stichentscheid bindend und der VR muss Rechtsschutz gewähren. Er kann dann keine weiteren Ablehnungsgründe mehr nachschieben.
Eine erhebliche Abweichung des Stichentscheids von der Sach- und Rechtslage liegt immer dann vor, wenn die gutachterliche Stellungnahme die Sach- und Rechtslage gröblich oder erheblich verkennt (so OLG Düsseldorf a.a.O. Tz. 27, und die Entscheidung des erkennenden Senates v. 3.11.2004, 20 U 93/04, juris Tz. 36). “Offenbar' ist eine solche Abweichung aber erst dann, wenn sie sich dem Sachkundigen, wenn auch erst nach gründlicher Prüfung, mit aller Deutlichkeit aufdrängt (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Vertritt ein Rechtsanwalt hingegen von mehreren Rechtsansichten diejenige, die zwar nicht der herrschenden Ansicht entspricht, aber doch nicht ganz abwegig erscheint, dann weicht seine Meinung noch nicht “offenbar' von der wirklichen Sach- und Rechtslage ab …
2. An diesen Voraussetzungen gemessen ist die Bekl. hier an den Stichentscheid v. 2.3.2009 gebunden.
2.1. Entgegen der von der Bekl. in ihrem Ablehnungsschreiben v. 5.2.2009 formulierten Ansicht hat der Kl. ein von außen wirkendes Ereignis i.S.v. Ziffer 1.3. der hier vereinbarten AUB schlüssig dargetan. So ist etwa anerkannt, dass ein Unfall vorliegt, wenn ein Schockerlebnis zu einer Gesundheitsschädigung führt (dazu Leverenz, in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 178 VVG Rn 50), wobei als äußere Ursache auch Stresssituationen ausreichend sind. Das OLG Stuttgart hat in seiner Entscheidung v. 30.4.1998, 7 U 260/97, zum Ausdruck gebracht, dass auch ein Streitgespräch ein Unfallereignis darstellen kann (a.a.O., juris Tz. 5), weil es für einen Unfall ausreichend ist, wenn das Ausgangsereignis eine Gesundheitsschädigung durch sinnliche Wahrnehmungen oder seelische Eindrücke herbeigeführt hat. Auch Knappmann führt in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 178 Rn 3 aus, dass rein sinnliche Wahrnehmungen den Tatbestand eines von außen auf den Körper wirkenden Ereignisses ...