SGB X § 12 Abs. 2; ZPO § 148
Leitsatz
Erwägt das Gericht die Aussetzung nach § 148 ZPO unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden Beteiligung des Schädigers am Sozialverwaltungsverfahren, hat es grds. zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Beteiligung gem. § 12 Abs. 2 SGB X schlüssig dargelegt sind.
BGH, Beschl. v. 8.11.2011 – VI ZB 59/10
Sachverhalt
Die klagende Berufsgenossenschaft macht als Unfallversicherungsträger gegen den Bekl. aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche aufgrund eines Fahrradunfalls v. 5.7.2006 nach einem Zusammenstoß mit dem Fahrrad des Bekl. geltend. Der Bekl. stellt die Aktivlegitimation der Kl. mit der Begründung infrage, es habe sich nicht um einen Wegeunfall gehandelt, für den die Kl. leistungspflichtig sei. Das LG hat den Bekl. zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt und festgestellt, dass der Bekl. verpflichtet ist, darüber hinaus gehende Aufwendungen der Kl. zu erstatten. Die Kl. erließ während des Berufungsverfahrens ohne Beteiligung des Bekl. am Sozialverwaltungsverfahren einen Bescheid über die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, in dem sie den Unfall als Wegeunfall anerkannte; die Kl. teilte mit, dass der Bescheid bestandskräftig geworden sei. Der Bekl. erhob Widerspruch gegen den Bescheid. Die Kl. legte den Widerspruch als Antrag auf Beteiligung am Sozialverwaltungsverfahren aus und wies ihn zurück. Dagegen legte der Bekl. Widerspruch ein. Das BG hat den Rechtsstreit gem. § 148 ZPO ausgesetzt, bis über den Widerspruch des Bekl. rechtskräftig entschieden ist. Hiergegen wendet sich die vom BG zugelassene Rechtsbeschwerde.
Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[5] "… 2. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg, weil die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Rechtsstreits gem. § 148 ZPO nicht vorliegen."
[6] a) Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die Aussetzung der Verhandlung setzt die Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtsstreit oder dem Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung in dem Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus (vgl. BGH, Beschl. v. 30.3.2005 – X ZB 26/04, BGHZ 162, 373, 375; MüKo-ZPO/Wagner, 3. Aufl., § 148 Rn 6 ff.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 148 Rn 23; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 148 Rn 5).
[7] b) Im Streitfall ist eine solche Vorgreiflichkeit des Sozialverwaltungsverfahrens für den vorliegenden Rechtsstreit entgegen der Auffassung des BG nicht wegen des vom Bekl. mit dem Ziel einer Beteiligung am Sozialverwaltungsverfahren eingeleiteten Verfahrens gegeben.
[8] aa) Nach § 118 SGB X ist ein Zivilgericht, das über einen nach § 116 Abs. 1 SGB X vom Geschädigten auf einen Sozialversicherungsträger übergegangenen Anspruch zu entscheiden hat, an eine unanfechtbare Entscheidung eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts oder eines Sozialversicherungsträgers über den Grund oder die Höhe der dem Leistungsträger obliegenden Verpflichtung grds. gebunden. Damit soll verhindert werden, dass die Zivilgerichte anders über einen Sozialleistungsanspruch entscheiden als die hierfür an sich zuständigen Leistungsträger oder Gerichte. Sozialrechtliche Vorfragen sollen den Zivilprozess nicht belasten und deshalb vor den Zivilgerichten grds. nicht erörtert werden. Der im Wege des Regresses in Anspruch genommene Schädiger soll deshalb grds. nicht Einwendungen gegen die Aktivlegitimation des klagenden Sozialversicherungsträgers erheben können (vgl. Senatsurt. v. 5.5.2009 – VI ZR 208/08, VersR 2009, 995 Rn 13, 17 f.). Die danach gegebene Bindungswirkung erfasst grds. auch die Feststellung der Zuständigkeit der den Bescheid erlassenden Behörde (vgl. Senatsurt. v. 5.5.2009 – VI ZR 208/08, a.a.O., Rn 13 m.w.N.). Eine Bindungswirkung kann ausnahmsweise nicht bestehen, wenn ein von vornherein unzuständiger Leistungsträger in der irrtümlichen Annahme seiner Zuständigkeit Leistungen aufgrund eines zwar rechtswidrigen, ihn selbst aber bindenden Verwaltungsakts erbringt oder mehrere Leistungsträger ihre Zuständigkeit hinsichtlich gleichartiger sozialversicherungsrechtlicher oder sozialrechtlicher Leistungen beanspruchen (vgl. Senatsurt. v. 8.7.2003 – VI ZR 274/02, BGHZ 155, 342, 347 ff.; v. 5.5.2009 – VI ZR 208/08, a.a.O., Rn 17 f. m.w.N.).
[9] § 118 SGB X greift grds. unabhängig davon ein, ob der Schädiger am Sozialverwaltungsverfahren beteiligt worden ist (vgl. Senatsurt. v. 15.7.2008 – VI ZR 105/07, VersR 2008, 1358 Rn 20; OLG Hamm, r+s 1999, 418, 419; LPK-SGB X/Breitkreuz, 3. Aufl., § 118 Rn 1). Etwas anderes gilt allerdings in Fällen, in denen dieser nach § 12 Abs. 2 SGB X zu dem Sozialverwaltungsve...