OWiG § 33 Abs. 1 Nr. 1 § 71; StPO § 261; StVO § 3
Leitsatz
1. Wenn sich aus durch den ermittelnden Polizeibeamten in den Briefkasten geworfenen “Einbestellungen’ des Betr. mit der Bitte um Erscheinen auf der Dienststelle nicht die beabsichtigte Vernehmung als Betr. ergibt, handelt es sich weder um eine Anhörung noch um die Bekanntgabe der Einleitung eines bis dahin noch nicht gegen den Betr. geführten Ermittlungsverfahrens.
2. Die im Urt. getroffenen Feststellungen müssen auf Beweismitteln beruhen, die zum Inbegriff der Verhandlung i.S.v. § 261 StPO gemacht worden sind. Wie die Beweismittel zum Gegenstand der Verhandlung gemacht wurden, muss im Hauptverhandlungsprotokoll festgehalten werden.
3. Grds. darf der Tatrichter davon ausgehen, dass aufgestellte Verkehrszeichen von den Verkehrsteilnehmern wahrgenommen werden. Bei einer deutlichen (qualifizierten) Geschwindigkeitsüberschreitung, die nach st. Rspr. des OLG Koblenz außerorts ab einer Überschreitung um mindestens 40 km/h anzunehmen ist, ergibt sich schon aus den damit verbundenen sensorischen Eindrücken, hervorgerufen durch Motorgeräusch, Fahrzeugvibrationen und die Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung verändert, ein beweiskräftiges Indiz dafür, dass der Kraftfahrer die erlaubte Geschwindigkeit zumindest mit bedingtem Vorsatz überschreitet.
OLG Koblenz, Beschl. v. 26.8.2013 – 2 SsBs 128/12
Sachverhalt
Mit Urt. v. 17.9.2012 hat das AG gegen den Betr. wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 50 km/h eine Geldbuße von 320 EUR festgesetzt. Nach den Feststellungen befuhr der Betr. am 5.10.2010 die BAB im auf 100 km/h beschränkten Bereich mit einer Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug von 5 km/h) von 150 km/h. Zu dieser Überzeugung ist das AG ausweislich der Urteilsgründe u.a. aufgrund des Messprotokolls v. 5.10.2010 und ihm beigefügter, nicht näher bezeichneter Anlagen gelangt.
2 Aus den Gründen:
" … II. Verfahrenshindernisse, die aufgrund der zulässig erhobenen Sachrüge vom Senat von Amts wegen zu berücksichtigen wären, liegen nicht vor. Insb. ist keine Verfolgungsverjährung eingetreten."
Die GenStA K hat hierzu in ihrer Stellungnahme v. 15.7.2013 folgendes ausgeführt:
“Nach Tatbegehung am 5.10.2012 wurde die Verjährung erstmals und rechtzeitig durch die von der Bußgeldstelle als Verfolgungsbehörde am 17.12.2010 verfügte erstmalige Anhörung des Betr. mit Bekanntgabe des Tatvorwurfs gem. § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG unterbrochen. Entgegen den diesbezüglichen Ausführungen des Betr. bereits im gerichtlichen Verfahren hatte zuvor eine Anhörung oder Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens oder sonstige Maßnahme gem. § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG nicht stattgefunden. Die Darstellung im Schriftsatz des Verteidigers des Betr. v. 5.7.2011 erstmals bereits am 8.12.2010 durch die Polizei K durch Einlegung eines “Anhörbogens’ in den Briefkasten i.S.d. § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG angehört worden zu sein, ist nicht zutreffend. Zwar waren ausweislich des Vermerks des ermittelnden Polizeibeamten des Polizeireviers K v. 17.8.2011 mehrfach “Einbestellungen’ mit der Bitte um Erscheinen auf der Dienststelle in den Briefkasten geworfen worden. Daraus ergab sich jedoch nicht die beabsichtigte Vernehmung als Betr., so dass es sich weder um eine Anhörung noch um die Bekanntgabe der Einleitung eines bis dahin, noch nicht, gegen den Betr. geführten Ermittlungsverfahrens handelte (vgl. Göhler/Gürtler, OWiG § 31 Rn 8, 9 m.w.N.).
Nach der mithin die Verjährung erstmalig unterbrechenden Anhörung v. 17.12.2010 folgte die nächste Unterbrechung gem. § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG durch Erlass des Bußgeldbescheids am 16.3.2011, zugestellt am 23.3.2011 mit der Folge anschließender sechsmonatiger Verjährungsfrist (§ 26 Abs. 3 StVG). Weiterhin wurde die Verjährung unterbrochen am 20.6.2011 durch Eingang der Akten bei dem AG – § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 OWiG, am 19.12.2011 durch Beauftragung des Sachverständigen S – § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 3.OWiG, sowie am 1.6.2012 und am 18.6.2012 durch jeweilige Anberaumung einer Hauptverhandlung – § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 OWiG.’
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.
III. Jedoch hat die Rechtsbeschwerde mit der zulässig erhobenen (vgl. zu den Anforderungen Senatsbeschl. v. 24.3.2011 – 2 SsBs 154/10, NStZ-RR 2011, 352) Inbegriffsrüge gem. § 261 StPO einen zumindest vorläufigen Erfolg. Aus dem Akteninhalt ergibt sich ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme, dass die im Urt. getroffenen Feststellungen zumindest teilweise auf Beweismitteln beruhen, die nicht zum Inbegriff der Verhandlung i.S.v. § 261 StPO gemacht worden sind.
Wie vom Betr. vorgetragen, wurde das Messprotokoll v. 5.10.2010 ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls v. 17.9.2012 weder verlesen noch in einer sonst zulässigen Art und Weise – etwa nach § 78 Abs. 1 S. 1 OWiG – zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Dies gilt auch für die nach den Urteilsgründen nicht näher bezeichneten Anlagen zum Messprotokoll. Insoweit bleibt schon offen, auf welche Anlagen s...