StVG § 3 Abs. 1 S. 1; FeV § 11 Abs. 2 § 11 Abs. 7 § 11 Abs. 8 § 14 Abs. 1 S. 3 § 46 Abs. 1 S. 1; Anl. 4 Nr. 9.2.2
Leitsatz
Die Regelbewertung der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV, dass der gelegentliche Cannabiskonsum mit zusätzlichem Gebrauch von Alkohol zum Verlust der Fahreignung führt, verletzt nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Voraussetzung ist allerdings ein Mischkonsum, der eine kombinierte Rauschwirkung zur Folge haben kann.
(amtlicher Leitsatz)
Der Mischkonsum von Cannabis und Alkohol kann selbst dann regelmäßig eine mangelnde Fahreignung begründen, wenn die Einnahme der Substanzen nicht im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr steht.
(Leitsatz der Schriftleitung)
BVerwG, Urt. v. 14.11.2013 – 3 C 32.12
Sachverhalt
Der Kl. wandte sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis, die die Behörde ausgesprochen hatte, weil bei ihm ausweislich eines fachärztlichen Gutachtens ein gelegentlicher Cannabiskonsum und Hinweise auf einen Mischkonsum mit Alkohol vorlägen; dies führe nach der Regelbewertung der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zum Verlust der Fahreignung. Zwar habe er angegeben, seit einiger Zeit auf den Konsum von Cannabis verzichtet zu haben. Da er aber der Aufforderung, seine möglicherweise wiedergewonnene Fahreignung mittels eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nachzuweisen, nicht nachgekommen sei, könne nach § 11 Abs. 8 FeV auf eine mangelnde Fahreignung geschlossen werden.
Das VG Regensburg (v. 17.12.2010 – VG RO 8 K 10.476) hat die Klage abgewiesen. Der BayVGH (Urt. v. 24.10.2012 – VGH 11 B 12.1523) hat der Berufung des Kl. im Wesentlichen stattgegeben und die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben. Zur Begründung hat er unter anderem ausgeführt, dass die genannte Bestimmung der Anlage zur FeV einschränkend ausgelegt werden müsse. Für die Annahme mangelnder Fahreignung sei zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit erforderlich, dass in der Person des Betr. Besonderheiten bestünden, die befürchten ließen, dass gerade bei ihm im Falle des Mischkonsums von Cannabis und Alkohol ein fehlendes Trennungsvermögen zwischen dem Konsum und der Teilnahme am Straßenverkehr zu befürchten sei. Anhaltspunkte dafür seien beim Kl. nicht ersichtlich, so dass es der Behörde verwehrt gewesen sei, den Kl. zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens aufzufordern. Demzufolge habe sie aus der Nichtvorlage des Gutachtens nicht auf eine fehlende Fahreignung schließen dürfen.
Das BVerwG ist dem nicht gefolgt und hat auf die Revision des Bekl. die Berufung gegen das Urt. des VG zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
[] "II. Die Revision ist begründet. Der VGH hätte bei richtiger Anwendung von Bundesrecht die Berufung des Kl. gegen das Urt. des VG in vollem Umfang zurückweisen müssen; denn weder die nach Auffassung des BG gebotene einschränkende Auslegung der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV noch die das Berufungsurteil gleichermaßen tragenden Ausführungen dazu, dass die Fahrerlaubnisbehörde auf unzureichender Tatsachengrundlage vom Verlust der Fahreignung des Kl. ausgegangen sei, halten einer revisionsgerichtlichen Prüfung Stand. Das Berufungsurteil muss daher nach § 144 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 VwGO aufgehoben und die Berufung zurückgewiesen werden."
1. Die angegriffene Entziehung der Fahrerlaubnis setzt nach § 3 Abs. 1 S. 1 StVG und § 46 Abs. 1 S. 1 FeV voraus, dass sich der Kl. als ungeeignet zum Führen von Kfz erwiesen hat. Dies ist nach § 46 Abs. 1 S. 2 FeV insb. unter anderem dann anzunehmen, wenn Erkrankungen oder Mängel nach Anlage 4 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kfz ausgeschlossen ist. Nach der hier maßgeblichen Nummer 9.2.2 dieser Anlage ist bei der – beim Kl. festgestellten – gelegentlichen Einnahme von Cannabis eine Fahreignung oder bedingte Fahreignung für die betroffenen Fahrzeugklassen nur bei Trennung von Konsum und Fahren anzunehmen und wenn unter anderem kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol vorliegt. Diese Bewertung gilt ausweislich der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 für den Regelfall. Grundlage der Eignungsbeurteilung ist nach der Vorbemerkung Nr. 2 in der Regel ein ärztliches Gutachten. Insoweit verweist die Vorbemerkung auf § 11 Abs. 2 S. 3 FeV. Für besondere Fälle verweist die Vorbemerkung unter anderem auf § 11 Abs. 3 FeV und die dort vorgesehene Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.
Der Senat teilt nicht die Auffassung des VGH, der dem Kl. angelastete Konsum von Cannabis und Alkohol könne schon deswegen weder die Annahme mangelnder Fahreignung noch die Anforderung eines Fahreignungsgutachtens rechtfertigen, weil ein solcher – nicht in Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehender Mischkonsum allein – entgegen dem Wortlaut der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV nicht zum Verlust der Fahreignung führe, ja nicht einmal einen durchgreifenden Anhaltspunkt zur Klärung der Fahreignung biete, sondern dazu weitere Besonderheiten in der Person des Betr. hinzutreten müssten.
Eine solche einschränkende und damit der Sache nach korrigierende Auslegung der untergesetzlichen Norm wäre nur dann notwendig, wenn...