BGB § 823 Abs. 1; StVG § 7 Abs. 1 § 17 Abs. 1 und 2 § 18; StVO § 9 Abs. 5; VVG § 115 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 286
Leitsatz
1. Gegen einen Linksabbieger in ein Grundstück spricht im Falle einer Unfallbeteiligung ein Anscheinsbeweis, dass er den Wartepflichten des § 9 Abs. 5 StVO nicht nachgekommen ist.
2. Dieser Anscheinsbeweis wird nicht durch die Behauptung einer überhöhten Geschwindigkeit des entgegenkommenden Fahrzeugs erschüttert, wenn nicht dargelegt und bewiesen wird, dass diese angebliche Geschwindigkeitsüberschreitung auch unfallkausal war.
3. Auch ein Rotlichtverstoß ist nicht als schadensmindernd anzusehen, wenn der Unfall sich 20 Meter hinter der Kreuzung ereignete, auf die sich die Lichtzeichenanlage bezieht.
(Leitsätze des Einsenders)
LG Hamburg, Urt. v. 4.9.2013 – 302 O 353/12
Sachverhalt
Der Zeuge S befuhr mit dem Fahrzeug der Kl. die linke von zwei Fahrstreifen und überquerte eine durch Lichtzeichenanlage geregelte Kreuzung. Zwanzig Meter nach der Kreuzung stieß er mit dem von der Bekl. zu 1) gesteuerten Fahrzeug zusammen, dass aus der Sicht des Fahrers des Fahrzeugs der Kl. nach links in einen Hofparkplatz einzubiegen begann. Die Kl. hat den Bekl. zu 1) und die Bekl. zu 2) als dessen Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz wegen der unfallbedingten Beschädigungen an dem Fahrzeug der Kl. in Anspruch genommen. Die Bekl. sind der Klage mit der Begründung entgegen getreten, der Fahrer des Fahrzeugs der Kl. sei mit überhöhter Geschwindigkeit und bei rot zeigender Lichtzeichenanlage über die vor der späteren Kollisionsstelle liegenden Kreuzung gefahren, womit der Bekl. zu 1) nicht habe rechnen müssen.
Nach Beweisaufnahme ging das LG von einer alleinigen Haftung der Bekl. aus.
2 Aus den Gründen:
" … Die Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, § 115 Abs. Nr. 1 VVG, § 1 PflVG auf Erstattung der Unfallschäden aus dem Verkehrsunfall v. 21.5.2012 i.H.v. 10.034,32 EUR."
Der Unfall ereignete sich beim Betrieb der der Kl. und dem Bekl. zu 1) als Halter zuzuordnenden Fahrzeuge; die Bekl. zu 2) ist Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs des Bekl. zu 1). Sind an dem die Haftung begründenden Unfallereignis mehrere Kfz beteiligt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz des dem jeweiligen Fahrzeughalter entstandenen Schadens sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes nach § 17 Abs. 1, 2 StVG von den Umständen, insb. davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht und verschuldet worden ist. Bei der Abwägung sind nur solche Umstände zu berücksichtigen, die nachgewiesen ursächlich für den Schaden geworden sind.
Die hiernach vorzunehmende Abwägung führt zu einer Alleinhaftung der Bekl. Der ihnen zuzuordnende Verursachungs- und Verschuldensanteil überwiegt so deutlich, dass die einfache Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Kl. hierhinter vollständig zurücktritt.
Der Bekl. zu 1) beging einen schwer zu gewichtenden Verkehrsverstoß nach § 9 Abs. 5 StVO, indem er nach links in das Grundstück H-straße 4 abbog, ohne das ihm entgegenkommende Fahrzeug der Kl. durchfahren zu lassen. Der Sorgfaltspflichtverstoß und dessen Verschulden ergeben sich dabei aus einem Anscheinsbeweis. Der Kollisionsort befindet sich im Bereich der Gegenfahrbahn des Bekl. zu 1). Kommt es bei einem Linksabbiegevorgang in ein Grundstück zu einem Zusammenprall mit dem Gegenverkehr auf der Gegenfahrbahn, so ist typischerweise anzunehmen, dass ein Verstoß gegen die Wartepflicht des § 9 Abs. 5 StVO zum Unfall führte.
Die Bekl. konnten den Anscheinsbeweis nicht erschüttern. Die ernsthafte Möglichkeit einer abweichenden Unfallverursachung ergibt sich nicht aus einer überhöhten Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs und entsprechender Vermeidbarkeit des Unfallgeschehens, denn die Bekl. konnten eine Unfallvermeidbarkeit nicht nachweisen. Der Bekl. zu 1) hat im Rahmen seiner Anhörung angegeben, zirka 30–40 Sekunden am linken Rand seiner Fahrspur in Höhe der Grundstückseinfahrt gewartet zu haben, bevor er angefahren und unmittelbar abgebogen sei. Nachdem er zirka einen halben Meter gefahren sei, habe er das klägerische Fahrzeug gesehen, gebremst und im gleichen Moment sei es zur Kollision gekommen. Auch den Lichtbildern mit den Unfallendstellungen auf Blatt 5 der beigezogenen Verkehrsunfallakte ist zu entnehmen, dass der Bekl. zu 1), dessen Fahrzeug im vorderen Bereich getroffen wurde, zirka 1 m gefahren ist, bevor es zur Kollision kam. Da der Bekl. zu 1) zudem angegeben hat, “normal’ angefahren zu sein, ist von einer normalen Anfahrbeschleunigung eines Pkw von 2 m/s² auszugehen. Nach alledem fand die Kollision zirka 1 Sekunde nach dem Anfahren des Bekl. zu 1) statt. Berücksichtigt man weiter, dass erst durch das Anfahren des Bekl. zu 1) eine Reaktionsaufforderung für den Zeugen S bestand und grds. von einer Reaktionszeit von 1 Sekunde auszugehen ist, ist festzustellen dass der Unfall für den zeugen S auch bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h nicht vermeidbar gewesen wäre. Auch bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h hätte der Zeug...