BGB § 307 Abs. 1, 2
Leitsatz
Eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Rechtsschutzversicherung, die die Erstattung von gerichtlichen Kosten davon abhängig macht, dass zuvor obligatorisch ein Mediationsverfahren durchgeführt wird, verstößt dann gegen § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn sich die Versicherung das Recht zur Auswahl des Mediators vorbehält.
LG Frankfurt, Urt. v. 7.5.2014 – 2-06 O 271/13
Sachverhalt
Die Kl. nimmt die Bekl. in einem "Musterverfahren" aus UKlaG bzw. UWG wegen gesetzeswidriger Rechtsschutzversicherungsbedingungen in Anspruch.
Die Bekl. bietet u.a. im Internet verschiedene Rechtsschutzversicherungen an. Eine Variante ist der Tarif "XYZ", der sich dadurch auszeichnet, dass er in vier verschiedenen Leistungsarten vorprozessual nur eine außergerichtliche Mediation durch einen von der Bekl. ausgewählten Mediator vorsieht. Das vergebliche Bemühen des VN um eine solche Mediation ist nicht nur Prämisse für einen gerichtlichen Rechtsschutz durch einen Rechtsanwalt, sondern auch für die Übernahme der im Gerichtsprozess anfallenden Kosten. Der "XYZ"-Tarif sieht keine Selbstbeteiligung vor und ist vergleichsweise günstig. Faktisch wird der Mediator allerdings nicht durch die Bekl. selbst, sondern durch einen Dienstleister ausgesucht, mit dem die Bekl. eine Vertragsbeziehung unterhält.
2 Aus den Gründen:
" … 2. Die angegriffene Klausel 2.8, Abs. 1 der Bekl.-ARB verstößt schon deswegen gegen § 1 UKlaG bzw. § 4 Nr. 11 UWG, jeweils i.V.m. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, weil die Auswahl der Mediatoren nach den angegriffenen Versicherungsbestimmung durch die Bekl. erfolgt."
a) AVB sind nach gefestigter Rspr. des BGH so auszulegen, wie ein durchschnittlicher VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf dessen Interessen an. …
Dies zugrunde gelegt, kann die Klausel aus Sicht eines durchschnittlichen VN nur so verstanden werden, dass die Bekl. bei den vier aufgelisteten Leistungsarten für die außergerichtliche Interessenwahrnehmung “nur‘ – i.S.v. “ausschließlich‘ – die Kosten eines Mediators übernimmt, der von ihr ausgewählt wird (§ 5 Abs. 1c B-ARB). Entgegen der Regelung zum Leistungsumfang in § 5 Abs. 1a) und b) der Bekl.-ARB trägt diese in den vier Leistungsarten demgegenüber nicht die Kosten eines in- oder ausländischen RA.
b) Zum Anwendungsbereich des § 127 VVG (i.V.m. § 129 VVG) – dem Recht auf freie Anwaltswahl – ist anerkannt, dass Versicherungsunternehmen den RA nur vorschlagen und/oder vermitteln, nicht aber einseitig bestimmen dürfen. Die deutsche Regelung in § 127 Abs. 1 VVG basiert auf Art. 4 Abs. 1 der mittlerweile ohne inhaltliche Änderung durch Art. 201 Richtlinie 2009/138/EG (Solvabilität II) ersetzten Richtlinie 87/344/EWG zur Koordination der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung (Rechtsschutzrichtlinie). Art. 201 der Richtlinie 2009/138/EG (Solvabilität II) lautet:
“Freie Wahl des Rechtsanwalts
(1) In jedem Rechtsschutz-Versicherungsvertrag ist ausdrücklich vorzusehen, dass
a) wenn ein Rechtsanwalt oder eine sonstige nach dem nationalen Recht entsprechend qualifizierte Person in Anspruch genommen wird, um in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren den Versicherten zu verteidigen, zu vertreten oder seine Interessen wahrzunehmen, es dem Versicherten freisteht, welchen Rechtsanwalt oder sonstige Person er wählt;
b) die Versicherten einen Rechtsanwalt oder, wenn sie es vorziehen, und soweit das nationale Recht dies zulässt, eine andere entsprechend qualifizierte Person frei wählen können, die ihre Interessen vertritt, wenn eine Interessenkollision entsteht.
(2) Unter Rechtsanwalt ist jede Person zu verstehen, die ihre beruflichen Tätigkeiten unter einer der Bezeichnungen gem. der Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte [36] auszuüben berechtigt ist.‘
Art. 127 Abs. 1. VVG lautet:
“(1) Der VN ist berechtigt, zu seiner Vertretung in Gerichts- und Verwaltungsverfahren den Rechtsanwalt, der seine Interessen wahrnehmen soll, aus dem Kreis der Rechtsanwälte, deren Vergütung der VR nach dem Versicherungsvertrag trägt, frei zu wählen. Dies gilt auch, wenn der VN Rechtsschutz für die sonstige Wahrnehmung rechtlicher Interessen in Anspruch nehmen kann.‘
Die letztgenannte Vorschrift ist “halbzwingend‘, d.h. von ihr darf gem. § 129 VVG nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden.
Mit der deutschen Umsetzung der Richtlinienbestimmung … war keine über die Umsetzung der Richtlinie hinausgehende nationale Regelung zur freien Anwaltswahl intendiert. Die Erstreckung des Anwaltswahlrechts über die europarechtlich vorgegebenen Gerichts- und Verwaltungsverfahren hinaus auf die außergerichtliche Wahrnehmung rechtlicher Interessen gründet allein darauf, dass VR in Deutschland – anders als in anderen EU-Staaten – ...