BGB § 253 § 823
Leitsatz
Führt ein Verkehrsunfall bei einer vorbestehenden Schadensanfälligkeit wegen einer Os Odontoideum zu einer Instabilität der Halswirbelsäule, die durch das dauerhafte Einsetzen einer Platte operativ behandelt werden muss, kann bei einem zum Unfallzeitpunkt 28jährigen Mann ein Schmerzensgeld von 30.000 EUR gerechtfertigt sein, wenn eine Nachfolgeoperation wegen eines Plattenbruchs erforderlich war und eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit von 20 % bei einer weitergehenden Einschränkung der Lebensqualität gegeben ist.
KG, Urt. v. 26.3.2015 – 22 U 143/13
Sachverhalt
Bei einem Verkehrsunfall erlitt der Kl. eine Instabilität der Halswirbelsäule bei einer bis zum Unfall unerkannten Os Odontoideum. Bei der erforderlichen Operation zur Stabilisierung wurde eine Verplattung vorgenommen, die risikobehaftet war. In seltenen Ausnahmefällen können Lähmungen bis hin zur Querschnittslähmungen auftreten. Durch die Verplattung war die Beweglichkeit des Kopfes und der Halswirbelsäule eingeschränkt; insb. war das Drehvermögen des Kopfes nach beiden Seiten limitiert und die Kopfnickbewegung, die Vorwärts- und Rückwärtsneigung des Kopfes blockiert. Die unfallbedingte biomechanische Mehrbelastung der Halswirbelsäule führt zu Schmerzen des Geschädigten. Weiterhin besteht eine erhöhte Verletzungsgefahr für die Halswirbelsäule, die schwere körperliche Arbeiten verbietet, insb. das Heben schwerer Lasten und aller Tätigkeiten, bei denen der Kopf bewegt werden muss. Der Kl. musste sich vier Jahre nach der Verplattung einer Wiederholung der Operation unterziehen, weil es wegen eines Materialfehlers der ursprünglich eingesetzten Verplattung erneut zu einer Instabilität kam und die Verplattung ersetzt werden musste. Der Gutachter stellte für einen Zeitraum von sechs Wochen nach dem Unfall eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % und eine anschließenden dauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit fest. Das LG sprach dem Kl. in einem Grund- und Teilurteil den von dem Kl. geforderten Mindestbetrag von 40.000 EUR Schmerzensgeld zu. Dagegen wendet sich die Bekl. mit ihrer Berufung und meint, dass dem Kl. allenfalls ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von 20.000 EUR zustehe. Die Berufung führte zur teilweisen Abänderung der angefochtenen Entscheidung und Zubilligung eines Schmerzensgeldes von 30.000 EUR.
2 Aus den Gründen:
" … Dem Kl. steht wegen seiner bei dem Verkehrsunfall vom 19.3.2008 erlittenen Verletzung ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. insgesamt nur 30.000 EUR gegen die Bekl. aus § 115 VVG i.V.m. § 9 StVG und § 253 BGB zu."
Soweit die Bekl. mit der Berufung geltend macht, das dem Kl. vom LG i.H.v. insgesamt 40.000 EUR zuerkannte Schmerzensgeld, das sich der Kl. als Mindestbetrag vorstellt, sei in Höhe eines Teilbetrages von 20.000 EUR übersetzt, hat der Senat die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Es darf sich nicht darauf beschränken, die Ermessensausübung der Vorinstanz auf Rechtsfehler zu überprüfen (vgl. BGH, Urt. v. 28.3.2006 – VI ZR 46/05, VersR 2008, 710 = NJW 2006, 1589 = juris Rn 30). Die Überprüfung durch den Senat nach dem genannten Maßstab hat ergeben, dass das dem Kl. wegen seiner unfallbedingten Verletzung zuzuerkennende Schmerzensgeld mit insgesamt 30.000 EUR angemessen und ausreichend bemessen ist.
Durch das Schmerzensgeld soll der Verletzte einen Ausgleich für die in der Regel nicht rückgängig zu machenden erlittenen Schmerzen und Leiden erhalten und ihm soll Genugtuung verschafft werden. Maßgebend für die Bemessung des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen und ihre Folgen, das durch sie bedingte Leiden, dessen Dauer und der Grad des Verschuldens des Schädigers (vgl. dazu BGH VersR 1998, 1034, 1035 = NJW 1998, 2741, 2742).
Der Genugtuungsfunktion kommt im vorliegenden Fall nur eine untergeordnete Bedeutung zu, weil der Kl. infolge eines vom Versicherten der Bekl. fahrlässig verursachten Auffahrunfalls verletzt worden ist, also das Verschulden des Versicherten der Bekl. eher gering ist.
Wesentlich ist daher hier vor allem die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes, also die Schwere der unfallbedingten Verletzung des Kl. und ihre Folgen. Der Kl. hat durch den Verkehrsunfall nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LG in dem am 8.8.2012 verkündeten Grund- und Teilurteil (vgl. zur Bindungswirkung eines Grund- und Teilurteils bei einem Gesundheitsschaden BGH, Urt. v. 20.5.2014 – VI ZR 187/13 –VersR 2014, 1130 = NJW-RR 2014, 1118 = juris Rn 17) eine Instabilität der Halswirbelsäule bei vorbestehendem Os Odontoideum erlitten, die eine anschließende Operation zur Stabilisierung durch Einsetzen einer Verplattung zwingend erforderlich gemacht hat. Diese Operation ist nicht risikolos, sondern kann nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. M in seinem Gutachten vom 9.10.2012 in – allerdings seltenen – Ausnahmefällen zu Lähmungen bis hin z...