BGB § 823; StVG § 18 Abs. 1 S. 2; VVG § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Leitsatz
1. In Bezug auf § 10 S. 1 StVO gelten für einen 15-jährigen Mofa-Fahrer keine geringeren Sorgfaltsanforderungen, weshalb die Haftungsabwägung im Einzelfall auch dann zu seiner vollen (Mit-) Haftung führen kann, wenn beim Einfahren nach links ein Zusammenstoß mit einem von links kommenden Pkw des fließenden Verkehrs erfolgt.
2. Die Annahme eines nachkollisionären Verstoßes des Pkw-Fahrers gegen § 1 Abs. 2 StVO wegen verspäteter Reaktion erfordert – unbeschadet einer zuzubilligenden Schreckzeit – die Feststellung, wann der Pkw unter Berücksichtigung des Zeitpunkts der Reaktionsaufforderung, der Reaktions- und Bremsschwellzeit und des Bremsweges (frühestens) hätte zum Stehen kommen können.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 3.8.2017 – 4 U 156/16
Sachverhalt
Der zum Unfallzeitpunkt 15 Jahre und 8 Monate alte Kl. fuhr mit seinem Mofa auf der Zuwegung eines Hauseingangs auf die Anliegerstraße. Dort fuhr der Bekl. zu 1 mit seinem Pkw auf der in seiner Fahrtrichtung linken Straßenseite. Es kam zu einer Kollision beider Fahrzeuge. Der Kl. nahmen Bekl. zu 1 und dessen Haftpflichtversicherung auf Feststellung der ErS.pflicht hinsichtlich des ihm entstandenen Schadens in Anspruch. Das LG ging von einer Haftungsquote von 25 % des Bekl. und einer Eigenhaftung des Kl. von 75 % aus. Die erfolgreiche Berufung der Bekl. führte zur vollständigen Abweisung der Klage.
2 Aus den Gründen:
" … Die Berufung der Bekl. ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und mithin zulässig. Das Rechtsmittel ist nach Maßgabe der §§ 513, 529, 546 ZPO auch begründet. Entgegen der Auffassung des LG haften die Bekl. nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht für die aufgrund des Verkehrsunfalls vom 22.7.2014 entstandenen materiellen und immateriellen Schäden des Kl."
1. Allerdings ist das LG richtig von der grundsätzlichen Haftung der Bekl. zu 1 als Fahrer und Halter eines unfallbeteiligten Kfz gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1, 11 StVG, 823 Abs. 1 BGB und der Bekl. zu 2 als Haftpflichtversicherer gem. §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 1 PflVG ausgegangen. Der für den Ausschluss der Ersatzpflicht der Bekl. zu 1 nach § 18 Abs. 1 S. 2 StVG erforderliche Nachweis, dass der Schaden nicht durch ein Verschulden des Führers verursacht ist, wurde nicht geführt. Die gesetzliche Verschuldensvermutung nach § 18 Abs. 1 S. 1 StVG kann insb. widerlegt sein, wenn der Unfall auf einem technischen Fehler (z.B. geplatzter Reifen, Versagen der Bremsen) beruht; es ist dann aber Sache des Fahrers, den Nachweis zu führen, dass er deshalb schuldlos die Kontrolle über das Kfz verloren hat (Heß in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 18 StVG Rn 8). Ein technischer Fehler kommt hier nicht in Betracht. Die Verschuldensvermutung ist ferner widerlegt, wenn der Fahrzeugführer nachweist, dass er sich verkehrsrichtig verhalten hat (OLG Hamm NZV 1998, 463). Auch das ist nicht der Fall. Entsprechendes gilt für die auf §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1 StVG beruhende Haftung des Kl., wie im Folgenden noch ausgeführt werden wird.
2. Da beide Parteien hier den Unabwendbarkeitsnachweis gem. § 17 Abs. 3 StVG nicht führen können, hängt gem. § 17 Abs. 1 StVG im Verhältnis der beteiligten Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insb. davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen sind bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind, d.h. sich auf den Unfall ausgewirkt haben (BGH NJW 2012, 1953, 1954 Rn 5). Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben, das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (BGH NJW 2012, 1953, 1954 Rn 5). Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (Senat OLGR 2009, 394, 396; NJW-RR 2015, 223, 224 Rn 27).
3. Im Ergebnis zu Recht hat das LG festgestellt, dass dem Kl. ein schuldhafter, unfallursächlicher Verstoß gegen seine Pflichten aus § 10 S. 1 StVO zur Last fällt.
a) Wer aus einem Grundstück auf die Straße einfahren will, hat sich gem. § 10 S. 1 StVO dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen. Die Vorschrift legt dem aus einem Grundstück auf die Straße einfahrenden Fahrzeugführer gesteigerte Pflichten auf. Die Pflichten werden nicht dadurch gemindert, dass der Vorfahrtsberechtigte unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot die linke Stra ßenseite be...