Die Entscheidung des OLG Bamberg ist eigentlich ein Klassiker zum Verwerfungsurteil, beinhaltet aber ein Detail, das näher beleuchtet werden soll, da die Lektüre des Beschlusses beim Verteidiger zu Missverständnissen führen könnte. In die Hauptverhandlung dürfen nur die Beweismittel eingeführt werden, die dem Betr. vorher durch Mitteilung in der Ladung (die Nennung im Bußgeldbescheid genügt nicht, OLG Bamberg NStZ-RR 2011, 216; Göhler/Seitz, OWiG, 16. Aufl. 2012, § 71 Rn 27) bekannt waren (KK-OWiG/Senge, 3. Aufl. 2006, § 74 Rn 13; OLG Saarbrücken VRS 109, 15; OLG Jena NStZ-RR 2010, 332). Dies gilt auch für Beweismittel, die bspw. benannte Zeugen erst in der Hauptverhandlung präsentieren (OLG Koblenz NZV 1991, 45), den unangekündigten Sachverständigenbeweis (OLG Koblenz zfs 1994, 228) oder andere dem Betr. nicht bekannte Beweismittel (OLG Köln NJW 1996, 535), nicht aber für Registerauskünfte (BayObLG NJW 1995, 2800). Ggf. muss dem Betr. bzw. seinem Verteidiger, § 74 Abs. 1 S. 3 OWiG, Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und die Hauptverhandlung unterbrochen oder ausgesetzt werden; dies gilt ebenso bei der Veränderung rechtlicher Gesichtspunkte (vgl. insgesamt Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 1. Aufl. 2014, § 74 OWiG, Rn 5). Nun kommt das "Aber": Die Norm des § 222 StPO gilt nicht für Urkunden und Augenscheinsgegenstände, sondern für Zeugen und Sachverständige (BeckOK StPO/Ritscher, § 222 Rn 3). Nur diese sind in der Ladung zu benennen. Zwar wird empfohlen, dem Betr. in der Ladung auch die als Beweismittel dienenden Gegenstände anzugeben, soweit sie nicht im Bußgeldbescheid bezeichnet sind, um einem Aussetzungsantrag nach § 246 Abs. 2 vorzubeugen (KK-StPO/Gmel, 7. Aufl. 2013, § 222 Rn 3). Dies ist aber nicht zwingend. Das Gericht ist gerade nicht verpflichtet, in der Ladung alle Urkunden oder Lichtbilder aufzuführen, auf deren Inaugenscheinnahme bzw. Verlesung die spätere Verurteilung gestützt wird. Im Gegenteil ist es Aufgabe und Pflicht des Verteidigers, sich durch Akteneinsicht spätestens nach Ladungszugang zu vergewissern, welche Beweismittel die Akte enthält. Immerhin kann ja auch er anregen, weitere Beweismittel hinzuzuziehen, oder konkrete Beweisanträge stellen! Nur wenn nach Ladung und/oder Akteneinsicht weitere Beweismittel zur Akte gereicht werden, insb. auf Anforderung des Gerichts bei der Bußgeldstelle, sind diese Informationen dem Verteidiger/dem Betr. zwecks Vermeidung der Verfahrensaussetzung zu übermitteln. Praktischerweise bietet sich eine Abschrift an, um das Verfahren nicht durch eine neue Akteneinsichtsnahme zu verzögern. Wenn der Verteidiger hingegen keine (rechtzeitige) Akteneinsicht nimmt, kann es kaum Aufgabe des Gerichts sein, ihm nach Entbindung des Betr. mehr als die Pflichtangaben des § 222 StPO in der Ladung zu übermitteln. Insofern ist die obige Entscheidung mit Bedacht zu lesen: Eine Pflicht des Gerichts zur lückenlosen Dokumentation aller Beweismittel in der Ladungsverfügung besteht gerade nicht.
RiAG Dr. Benjamin Krenberger
zfs 4/2014, S. 229 - 230