BGB § 253; ZPO § 286
Leitsatz
Die Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines Gutachtens zu der Ursächlichkeit eines Unfallereignisses für behauptete Verletzungen der Halswirbelsäule, einer Thoraxkompression und einer Prellung der Schulter auf Vernehmung behandelnder Ärzte und der Einholung eines medizinischen Gutachtens mit der Begründung, die Beweisaufnahme könne keinen Aufschluss zu den erlittenen Verletzungen und zur Kausalität liefern, beruht auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung und verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
(Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 19.11.2013 – VI ZR 202/13
Sachverhalt
Die Kl. erlitt einen Auffahrunfall. Sie hatte mit ihrem Pkw an einer Kreuzung angehalten und war wieder angefahren. Als sie wieder abbremste, fuhr der Bekl. zu 3) mit seinem Kfz auf das Fahrzeug der Kl. auf. An dem Fahrzeug der Kl. traten geringfügige Schäden auf, die mit einem Aufwand von 682 EUR netto behoben wurden. Die Kl. begab sich am Tag nach dem Unfallereignis zu einem Arzt, der die Diagnose stellte "Halswirbelsäulenschleudertrauma (mittlere Schwere), Thoraxkompression durch Sicherheitsgurt, Prellung rechte Schulter, deutliche vegetative Erschöpfung mit Schweißausbrüchen". Die Kl. hatte bereits im Jahre 1989 einen schweren Unfall erlitten, bei dem sie ein Polytrauma und insb. ein schweres Schädelhirn-Trauma erlitten hatte.
Zur Begründung ihrer geltend gemachten Schadensersatzansprüche hat die Kl. angeführt, erstmalig seit dem Unfall aus dem Jahre 2009 an andauernden migräneartigen Kopfschmerzen zu leiden. Die Rotation ihres Kopfes in beiden Richtungen sei eingeschränkt. Sie habe einen fixierten Schiefhals nach links, Tinnitus und Schwindel. Bei der Kopfdrehung sei ein lautes Krachen in der Halswirbelsäule zu hören. Weiterhin leide sie seit dem Unfallereignis unter Rückenbeschwerden und anhaltenden Lumbalgien. Das LG hat die Klage ohne Einholung eines Gutachtens abgewiesen. Das BG hat die Berufung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kl. führte zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das BG.
2 Aus den Gründen:
[4] "… Das BG hat den Anspruch der Kl. auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt."
[5] 1. Das BG ist unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zu der Annahme gelangt, die Kl. könne mit den von ihr angebotenen Beweismitteln den Nachweis der Ursächlichkeit des Unfalls für die von ihr geltend gemachten Beschwerden nicht führen. Wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht beanstandet, hat die Kl. vorgetragen, dass sie zwar eine Vorschädigung der Wirbelsäule infolge des Unfalls von 1989 gehabt habe, dass sich diese Vorschädigung bei dem Unfallereignis aber nicht ausgewirkt habe. Ihre Beeinträchtigungen seien allein durch das streitgegenständliche Unfallereignis ausgelöst worden. Sie hat auf den ärztlichen Befundbericht verwiesen, der sich nicht auf eine Wiedergabe der Angaben der Kl. beschränkt, sondern eigene Feststellungen des Arztes in Form der auf den Sicherheitsgurt zurückzuführenden Verletzungszeichen, der Thoraxkompression und der Prellung der rechten Schulter enthält. Zum Beweis ihrer Beschwerden hat sie sich auf die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen berufen und zur Ursächlichkeit des Unfalls für ihre Beschwerden die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beantragt. Diesen Beweisanträgen hätte das BG unter den Umständen des Falles nachgehen müssen. Seine Erwägung, wonach weder ein medizinisches Gutachten noch die Vernehmung der sachverständigen Zeugen weitere Aufschlüsse zu den erlittenen Verletzungen und zur Kausalität liefern könne, beruht auf einer unzulässigen und gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßenden vorweggenommenen Beweiswürdigung (vgl. BVerfG WM 2012, 492 Rn 15 ff.).
[6] 2. Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Sachverständige anhand der Befundberichte des erstbehandelnden Arztes und eigener Untersuchungen der Kl. Feststellungen zur Ursächlichkeit des Unfalls für die von dieser geltend gemachten Beschwerden treffen kann. … “
3 Anmerkung:
Wird der Eintritt einer HWS-Verletzung nach einem Unfall behauptet, muss der Anspruchssteller und angeblich Geschädigte mit dem Beweismaß des § 286 ZPO sowohl das Vorliegen einer HWS-Verletzung wie auch den rechtlichen Zusammenhang der Verletzung mit dem Unfallereignis nachweisen. Liegt eine Verletzung mit dem behaupteten Schweregrad I nach Erdmann "Schleuderverletzungen", 1973, S. 72 ff. vor (leichte Fälle mit Nackenkopfschmerz und geringer Bewegungseinschränkung der HWS, kein röntgenologisch oder neurologisch abnormer Befund), stößt er bei Bestreiten des Vorliegens einer HWS-Verletzung auf Beweisschwierigkeiten (vgl. auch Dannert, NZV 1999, 453, 466; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 6. Aufl., Rn 680–685).
1. Als erste Hürde wurde für den Anspruchssteller die fehlende Überschreitung der sog. Harmlosigkeitsgrenze aufgebaut. Wurde bei der Kollision z...