StVG § 3 Abs. 1 S. 3 7 15 17 18 § 23 Abs. 1 S. 2; StVZO § 31 Abs. 2
Leitsatz
1. Kommt es während der Fahrt auf einer Autobahn zu einem Reifenschaden, bei dem sich die Karkasse des Reifens löst und zu einem Unfall des nachfolgenden Verkehrs führt, spricht gegen den Fahrer kein Anscheinsbeweis, dass er seiner Pflicht aus § 23 Abs. 1 S. 2 StVO zur Überprüfung der Bereifung vor Fahrtantritt nicht bzw. nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist.
2. Der Auffahrende kann den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht mit dem Hinweis auf eine schwere Erkennbarkeit des Reifenteils erschüttern, wenn im Hinblick auf ein eingeschaltetes Warnblinklicht eine unklare Verkehrslage vorliegt, bei der der Verkehr auch mit ungewöhnlich schwer sichtbaren Hindernissen rechnen muss.
LG Saarbrücken, Urt. v. 19.7.2013 – 13 S 15/13
Sachverhalt
Der Bekl. zu 1) befuhr mit einem Müllfahrzeug der Bekl. zu 2), das bei der Bekl. zu 3) haftpflichtversichert ist, die BAB, als der vordere linke Reifen des Müllfahrzeugs platzte. Die Karkasse löste sich und rollte über die Fahrbahn. Der Bekl. zu 1) hielt den Lkw auf dem Standstreifen an. Kurz danach fuhr der Zeuge X mit seinem Pkw auf der linken der beiden Fahrspuren an der Unfallstelle vorbei. Ihm folgte die Zeugin Y mit dem Pkw des Kl. Die Zeugin verlor die Kontrolle über das Fahrzeug, prallte gegen einen anderen Lkw, überschlug sich mehrmals und kam auf dem Dach liegend mitten auf der Fahrbahn zum Stillstand. Der Kl. hat den Ersatz seines unstreitig gewordenen Schadens und der vorgerichtlichen Anwaltskosten mit der Begründung verfolgt, die Zeugin Y sei bei einer eingehaltenen Geschwindigkeit von 120 km/h über die auf dem linken Fahrstreifen liegende Karkasse gefahren, die sie wegen fehlender Absicherung der Unfallstelle nicht rechtzeitig habe erkennen können. Das AG hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Der Bekl. zu 1) hat mit seiner Berufung die volle Klageabweisung verfolgt, die Bekl. zu 2) und zu 3) haben die Abänderung des angefochtenen Urteils nur insoweit verfolgt, als sie zu einem über 1.293,70 EUR hinausgehenden Betrag verurteilt worden sind.
Das LG verneinte eine Haftung des Bekl. zu 1) und legte unter Berücksichtigung einer Mitverantwortung der Zeugin Y eine Haftungsquote der Bekl. zu 2) und zu 3) von 30 % zugrunde.
2 Aus den Gründen:
" … 1. Zu Recht ist das AG allerdings zunächst davon ausgegangen, dass sich der Unfall beim Betrieb des Beklagtenfahrzeugs i.S.d. § 71 StVG ereignet hat. Soweit es hierzu in tatsächlicher Hinsicht festgestellt hat, dass die Zeugin Y die auf dem linken Fahrstreifen der Autobahn liegende Reifenkarkasse des Beklagtenfahrzeugs überfahren und in der Folge die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren habe, ist diese Feststellung nachvollziehbar und wird auch in der Berufung nicht substantiiert in Zweifel gezogen. Hiervon ausgehend ist der Unfallschaden dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs zuzurechnen."
In der höchstrichterlichen Rspr. ist anerkannt, dass ein Schaden bereits dann “bei dem Betrieb’ eines Kfz entstanden ist, wenn sich von einem Kfz ausgehende Gefahren ausgewirkt haben, wenn sich also der Unfall als das Ergebnis einer von seinem Betrieb typischerweise ausgehenden Gefahr darstellt (vgl. BGH NJW 1988, 2802 = DAR 1988, 269 = NJW-RR 1988, 1432 L; NJW 2005, 2081 = VersR 2005, 992, jeweils m.w.N.). Eine Reifenkarkasse, die sich während der Fahrt vom Fährzeug löst und zum Hindernis für den nachfolgenden Verkehr wird, stellt sich aber als eine solche typische von einem Kfz ausgehende Gefahr dar.
2. Zutreffend hat der Erstrichter weiter festgestellt, dass der Unfall weder für die Zweit- und Drittbekl. noch die Zeugin Y unabwendbar gewesen ist.
a) Die Bekl. zu 2) und 3) können sich nicht auf die Unabwendbarkeit des Unfalls berufen. Nach § 17 Abs. 3 S. 1 StVG ist der Nachweis der Unabwendbarkeit ausgeschlossen, wenn der Unfall auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Beklagtenfahrzeugs beruht. Davon ist hier auszugehen. Denn es lässt sich nicht widerlegen, dass das Lösen der Karkasse auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Reifens und damit des Fahrzeugs beruht (vgl. OLG Zweibrücken SP 1994, 241; OLG Saarbrücken OLG-Report 2005, 524 = BeckRS 2005, 30353878; OLG Celle OLG-Report 2007, 854 = BeckRS 2008, 00055). Auf die Frage, ob ein Fehler am Reifen des Beklagtenfahrzeugs vor Fahrtantritt bei einer ordnungsgemäßen Abfahrtskontrolle hätte entdeckt werden können, kommt es deshalb in diesem Zusammenhang nicht an (vgl. OLG Celle OLG-Report 2007, 854 = BeckRS 2008, 00055).
b) Der Unfall war aber auch für die Zeugin Y als Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht unabwendbar. Unabwendbar ist ein Ereignis, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers – nicht abgewendet werden kann (stellvertretend für alle: Hentschel/König/Dauer, StraßenverkehrsR, 42. Aufl., § 17 StVG Rn 22 m.w.N.). Die Zeugin Y hat insoweit bekundet, bei Erkennen des auf dem Standstreifen stehenden Beklagtenfahrzeugs den Fuß vom Gas genommen und auf die Überholspur gewechselt zu haben. Das wird den A...