Der objektive Tatbestand von § 356 StGB und von § 43a Abs. 4 BRAO ist deckungsgleich. § 43a Abs. 4 BRAO geht über die Regelung von § 356 StGB hinaus, weil auch eine fahrlässige Pflichtverletzung eine berufsrechtliche Ahndung gem. § 113 Abs. 1 BRAO zulässt. Zwei aktuelle Entscheidungen des BGH haben die Diskussion über das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen erneut entfacht und die bisherige Auffassung zugunsten der Anwaltschaft und der von ihnen vertretenen Mandanten gelockert.
I. Das Urteil des BGH vom 23.4.2012
Der Anwaltssenat führt aus, dass unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu überprüfen ist, ob eine Interessenkollision vorliegt. Im entschiedenen Fall hatte eine Kollegin im Scheidungsverfahren und im Verfahren über Zugewinnausgleich den Ehemann vertreten und mit dessen Einverständnis Unterhaltsansprüche des volljährigen Sohnes gegen die Ehefrau geltend gemacht. Die zuständige Rechtsanwaltskammer hatte einen Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO und § 3 Abs. 1 BORA angenommen, da neben dem geltend gemachten Unterhaltsanspruch gegen die Mutter des volljährigen Sohnes auch Unterhaltsansprüche gegen den von der Kollegin vertretenen Ehemann und Vater des Klägers bestünden. Diese Vertretung widerstreitender Interessen könne auch nicht dadurch aufgehoben werden, dass der Mandant mit diesem Vorgehen sein Einverständnis erklärt habe.
Der BGH führt aus, dass es sich bei der Vertretung im Zugewinnverfahren und bei der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs eines volljährigen Kindes gegen seine Eltern um "dieselbe Rechtssache" handele. Da der volljährige Sohn sowohl Unterhaltsansprüche gegenüber seiner Mutter als auch gegenüber dem von der Kollegin vertretenen Vater habe, sei auch die Unterhaltspflicht des Vaters berührt. Ob tatsächlich widerstreitende Interessen vertreten würden, könne nicht ohne Blick auf die konkreten Umstände des Falls beurteilt werden. Wenn der volljährige Sohn in Kenntnis aller Umstände gleichwohl dieselbe Rechtsanwältin beauftrage, die den Vater im Zugewinnausgleichsverfahren vertrat, fehle es bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise an einem Interessengegensatz. Das Anknüpfen an einen möglichen, tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt sei verfassungsrechtlich unzulässig. Aus der Entscheidung ergibt sich, dass die Beschränkung eines Mandats auf einen bestimmten Anspruchsgegner zulässig ist, auch wenn die Durchsetzung dieses Anspruchs mittelbar oder unmittelbar Einfluss auf ein anderes bestehendes Mandatsverhältnis haben kann.
II. Das Urteil des BGH vom 19.9.2013
Auch dieser Entscheidung lag eine familienrechtliche Angelegenheit zugrunde. Der BGH führt zunächst aus, dass eine gemeinschaftliche Beratung scheidungswilliger Ehegatten zulässig ist, obwohl es sich um eine identische Rechtssache handelt und die Ehegatten typischerweise gegenläufige Interessen in Bezug auf die Scheidungsfolgen haben. Zugleich wird darauf hingewiesen, dass nach einer gemeinschaftlichen Beratung und einem späteren Interessenwiderstreit der Rechtsanwalt keinen der beiden Ehepartner mehr vertreten darf. Aus der Entscheidung ergibt sich weiterhin, dass der beratende Rechtsanwalt beide Ehegatten vor der gemeinsamen Beratung über diese Konsequenz aufklären muss und keine Kosten geltend machen darf, wenn bei einer späteren Vertretung durch andere Rechtsanwälte zusätzliche Kosten entstehen. Diese Kosten sind ein Schaden gem. § 311 Abs. 2 BGB i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB mit der Folge, dass insoweit eine Aufrechnungslage besteht.