Die Entscheidung des BayVGH, die praktische Bedeutung für die Anwaltstätigkeit in allen Gerichtsbarkeiten hat, entspricht der seit einigen Jahren im Vordringen befindlichen Auffassung in Rspr. und Literatur.
I. Erledigung des früheren Auftrags
Früher war die Auffassung weit verbreitet, den Auftrag dann als erledigt anzusehen, wenn die Anwaltsvergütung fällig i.S.v. § 8 Abs. 1 RVG geworden ist (so OLG Karlsruhe JurBüro 1998, 26; OLG Stuttgart BRAGOreport 2002, 183 (Hansens) = AGS 2003, 19 mit Anm. N. Schneider; Hansens, BRAGO, 8. Aufl., § 13 BRAGO Rn 33; auch jetzt noch Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 21. Aufl., § 15 RVG Rn 125; wohl auch Mayer/Kroiß/Winkler, RVG, 6. Aufl., § 15 Rn 161).
Nach der Entscheidung des BGH RVGreport 2006, 219 (Hansens) = AGS 2006, 323 hat sich dieser Trend jedoch umgekehrt. Der BGH hat – wie auch hier der BayVGH – damit argumentiert, auch bei einer längeren Unterbrechung des Verfahrens bleibe der Prozessbevollmächtigte weiter beauftragt und müsse auch weiterhin tätig werden. Dem hat sich die Rspr. seitdem weitgehend angeschlossen (so OLG Oldenburg RVGreport 2011, 107 (Hansens); KG RVGreport 2011, 19 (ders.); OLG Schleswig AGS 2013, 123; OLG Nürnberg JurBüro 2004, 317; ebenso AnwKom-RVG/N. Schneider, 7. Aufl., § 15 Rn 289). Dies hat zur Folge, dass der Prozessbevollmächtigte, der nach einer unter Umständen viele Jahre andauernden Aussetzung oder Unterbrechung des gerichtlichen Verfahrens für den Mandanten weiter tätig wird, trotz der erforderlich werdenden neuen Einarbeitung in die Sache bereits verdiente Gebühren nicht nochmals erhält. Sind die Gebühren infolge einer Gesetzesänderung zwischenzeitlich angehoben worden, kann er allerdings jede nach der Aufnahme des Verfahrens verdiente Gebühr nunmehr nach der neuen Gebührentabelle abrechnen.
II. Weiterer Auftrag des Prozessbevollmächtigten
Der Auftrag des Prozessbevollmächtigten ist bei einer Unterbrechung oder Aussetzung des Verfahrens über einen Zeitraum von mehr als zwei Kalenderjahren nur dann erledigt, wenn das Mandat zwischenzeitlich – vom Anwalt oder von dem Mandanten – gekündigt worden ist und der Rechtsanwalt nach der Wiederaufnahme des Verfahrens einen neuen Auftrag erhalten hat.
Eine "Erledigung des Auftrags" i.S.v. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG tritt dann ein, wenn der Rechtsanwalt seine Verpflichtungen aus dem Anwaltsdienstvertrag vollständig erfüllt hat. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Rechtsstreit durch Prozessvergleich beendet worden ist und – nach einem Zeitraum von mehr als zwei Kalenderjahren – der Vergleich angefochten und das Verfahren hieraufhin fortgesetzt wird (BGH RVGreport 2011, 17 (Hansens) = AGS 2010, 477, der allerdings § 15 Abs. 5 S. 2 RVG in diesem Fall nur entsprechend angewandt hat; ebenso OLG Frankfurt, Beschl. v. 18.2.2008 – 3 WF 281/07).
Ebenso ist § 15 Abs. 5 S. 2 RVG dann anwendbar, wenn nach Ablauf eines Zeitraums von mehr als zwei Kalenderjahren das Verfahren zurückverwiesen wird (siehe OLG Hamburg RVGreport 2014, 265 (Hansens) = zfs 2014, 410 mit Anm. Hansens = AGS 2014, 267; siehe auch OLG München AGS 2006, 369 = AnwBl. 2006, 588 und OLG Düsseldorf RVGreport 2009, 181 (Hansens) = AGS 2009, 212 für die vergleichbare Problematik des Entfalls der Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 6 VV RVG).
Somit entstehen dem Prozessbevollmächtigten auch in langjährigen Schadensersatzprozessen, die mehr als zwei Kalenderjahre tatsächlich nicht betrieben werden, die Gebühren nur im Ausnahmefall erneut.
VorsRiLG a.D. Heinz Hansens
zfs 4/2015, S. 225 - 226