VV RVG Nr. 4141; StPO § 410 Abs. 1 § 411 Abs. 1
Leitsatz
Dem Verteidiger fällt die zusätzliche Verfahrensgebühr nach Nr. 4141 VV RVG nicht an, wenn er dem Mandanten rät, den erlassenen Strafbefehl hinzunehmen und hiergegen keinen Einspruch einzulegen und dieser dem Rat folgt.
(Leitsatz der Schriftleitung)
AG Hamburg-St. Georg, Urt. v. 21.11.2014 – 911 C 348/14
Sachverhalt
Der Kl. hat die beklagte Rechtsschutzversicherung auf Zahlung einer zusätzlichen Verfahrensgebühr nach Nr. 4141 VV RVG in Anspruch genommen. Damit hatte es folgende Bewandnis: Gegen den Kl. war beim AG Osterholz-Scharmbeck ein Strafverfahren anhängig gewesen, in dessen Verlauf das Gericht einen Strafbefehl erlassen hatte. Der Verteidiger riet dem Kl., hiergegen keinen Einspruch einzulegen. Diesem Rat folgte der Kl., so dass der Strafbefehl rechtskräftig wurde. Der Verteidiger berechnete dem Kl. – soweit hier von Interesse – eine zusätzliche Verfahrensgebühr nach Nr. 4141 VV RVG, weil durch seine – des Rechtsanwalts – Mitwirkung eine Hauptverhandlung in dem Strafverfahren entbehrlich geworden sei. Die Rechtsschutzversicherung des Kl. lehnte die Zahlung der zusätzlichen Verfahrensgebühr ab. Die hieraufhin vom Kl. erhobene Klage blieb erfolglos.
2 Aus den Gründen:
"Die zulässige Klage ist unbegründet."
zDer Kl. hat gegen die Bekl. keinen Anspruch auf Zahlung von 196,35 EUR nebst Zinsen aus dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertragsverhältnis. Die Bekl. ist nicht verpflichtet, dem Kl. für die Tätigkeit seines Bevollmächtigten in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren vor dem AG eine Erledigungsgebühr i.S.v. Nr. 4141 W RVG in o.g. Höhe zu erstatten.
Maßgebend ist insoweit, dass eine solche Gebühr vorliegend nicht angefallen ist. Eine Erledigungsgebühr nach Nr. 4141 VV RVG in Höhe der Verfahrensgebühr fällt nur dann an, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird, also wenn (1) das Strafverfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird oder (2) das Gericht beschließt, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen oder (3) sich das gerichtliche Verfahren durch Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl erledigt (ist bereits ein Termin zur Hauptverhandlung bestimmt, entsteht die Gebühr nur, wenn der Einspruch früher als zwei Wochen vor Beginn des Tages, der für die Hauptverhandlung vorgesehen war, zurückgenommen wird) oder (4) das Verfahren durch Beschluss nach § 411 Abs. 1 S. 3 StPO endet. Keiner der vorgenannte Fälle ist hier eingetreten.
Das gegen den Kl. geführte Strafverfahren ist vielmehr dadurch rechtskräftig abgeschlossen worden, dass der Kl. gegen den Strafbefehl v. … keinen Einspruch nach § 410 Abs. 1 StPO eingelegt hat. Eine Hauptverhandlung (§ 411 Abs. 1 S. 2 StPO) ist hier also nicht durch die Mitwirkung des Bevollmächtigten des Kl. “entbehrlich geworden‘, sondern deren Nichtdurchführung war lediglich (Rechts-)Folge der unterlassenen Einlegung des Einspruchs (§ 410 Abs. 3 StPO). Die zusätzliche Gebühr nach RVG VV Nr. 4141 fällt aber in solchen Fällen nicht an, wenn der Verteidiger den Verurteilten – wie auch hier – dahingehend berät, einen erlassenen Strafbefehl hinzunehmen und kein Rechtsmittel dagegen einzulegen (vgl. OLG Nürnberg RVGreport 2009, 464 (Burhoff)). Die Zusatzgebühr Nr. 4141 VV RVG ist keine Kompensationsgebühr für die allgemeine Mühewaltung des Verteidigers, die zu einer Vereinfachung des Verfahrens beiträgt; die Beratung dahingehend, ob gegen einen Strafbefehl überhaupt Einspruch eingelegt werden soll – also auch die Empfehlung, den Strafbefehl zu akzeptieren – ist gebührenrechtlich durch die Verfahrensgebühr mit abgegolten.“
3 Anmerkung:
Nach dem Wortlaut von Abs. 1 Nr. 3 der Anm. zu Nr. 4141 VV RVG entsteht die zusätzliche Gebühr, wenn sich das gerichtliche Verfahren durch Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl erledigt und durch die anwaltliche Mitwirkung des Verteidigers die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Die Gesetzesfassung spricht somit gegen den Anfall der zusätzlichen Gebühr für den hier vorliegenden Sachverhalt, dass kein Einspruch eingelegt worden ist. Das OLG Nürnberg RVGreport 2009, 464 hatte eine entsprechende Anwendung von Abs. 1 Nr. 3 der Anm. zu Nr. 4141 VV RVG auf die auch hier vorliegende Fallgestaltung abgelehnt, das AG Hamburg-St. Georg hat eine analoge Anwendung erst gar nicht erwogen. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift ist angesichts der vom Gesetzgeber vorgenommenen Einzelfallregelung nicht ganz unproblematisch (gegen eine entsprechende Anwendung in anderen Fällen auch OLG Köln RVGreport 2008, 428 (Burhoff) und OLG Frankfurt RVGreport 2008, 428 (ders.); für eine Analogie AG Köln RVGreport 2008, 226 (ders.); N. Schneider AnwBl. 2006, 274 und NJW-Spezial 2008, 251). Für eine ähnliche Fallgestaltung ist der BGH (RVGreport 2011, 182 (Burhoff) = AGS 2011, 128 m. Anm. N. Schneider = zfs 2011, 285 m. Anm. Hansens) allerdings vom Anfall der zusätzlichen Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG ausgegangen, nämlich dann, wenn der Rechtsanwalt seinem Mandanten rät, zu einem erhobenen Vorwurf zu schweigen und ...