" … II. Der Antrag des ASt., der gem. §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO sachdienlich als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 30.12.2015 gegen die für sofort vollziehbar erklärte Fahrerlaubnisentziehungsverfügung der Antragsgegnern in Ziffer 1 des Bescheides vom 21.12.2015 auszulegen ist, ist zulässig und begründet."
Bei der vom Gericht nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt hier das private Aussetzungsinteresse des ASt. das öffentliche Interesse daran, ihn mit sofortiger Wirkung von der weiteren Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen. Denn die angefochtene Verfügung erweist sich bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig.
Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 S. 1 FeV, wonach die Behörde die Fahrerlaubnis zu entziehen hat, wenn sich ihr Inhaber als zum Führen von Kfz ungeeignet erweist. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Insb. darf aus der Nichtvorlage des mit Anordnungsschreiben der AG vom 9.10.2015 – die von der AG zuvor jeweils mit Datum vom 17.9.2015 und 30.9.2015 versandten Anordnungsschreiben waren wegen falscher Adressierung (Adresse des ASt. war dort mit E-Straße 4 statt E-Straße 14 angegeben) jeweils an die AG als unzustellbar zurückgegangen – geforderten Gutachtens eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung nicht gem. § 11 Abs. 8 S. 1 FeV auf die Nichteignung des ASt. zum Führen von Kfz geschlossen werden. Diese Schlussfolgerung ist nämlich nur dann zulässig, wenn die Gutachtensanordnung rechtmäßig, insb. anlassbezogen und verhältnismäßig war (BVerwG, Beschl. v. 11.6.2008 – 3 B 99/07, NJW 2008, 3014). Dies ist hier nicht der Fall.
Die Gutachtensanordnung vom 9.10.2015 ist materiell rechtswidrig, weil keine Tatsachen vorliegen, die klärungsbedürftige Zweifel an der Kraftfahreignung des ASt. aufwerfen. Sie ist nicht von § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 1 S 2, Abs. 2 S. 3 Nr. 5 und Nr. 2 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV gedeckt.
Nach § 11 Abs. 1 S. 2 FeV sind die an einen Fahrerlaubnisbewerber bzw. -inhaber zu stellenden notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen insb. nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zu §§ 11, 13 und 14 FeV vorliegt, wodurch die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kfz ausgeschlossen wird. Nach § 11 Abs. 2 S. 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Klärung der Eignung eines Betroffenen zum Führen eines Kfz ein Gutachten, z.B. eines Arztes in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung (§ 11 Abs. 2 S. 3 Nr. 5 FeV) anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung begründen.
Eine Begutachtungsanordnung nach § 11 Abs. 2 FeV dient der Klärung von Eignungszweifeln, so dass für die auf § 11 Abs. 2 FeV gestützte Anordnung, ein ärztliches Gutachten vorzulegen, erforderlich aber auch ausreichend ist, dass aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung des Betroffenen bestehen. Die tatsächlichen Feststellungen müssen den Eignungsmangel als naheliegend erscheinen lassen. “Bedenken’ in diesem Sinne verlangen tatsächliche Hinweise auf Umstände, die für die Verkehrssicherheit in so hohem Maße bedeutsam sind, dass die bisher für die Eignungsbeurteilung zugrunde liegenden Tatsachen fachlich überprüft werden müssen (OVG Niedersachsen, Beschl. v. 11.4.2005 – 12 ME 540/04, zfs 2005, S. 575; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 28.10.2004 – 10 S 475/04, [zfs 2005, 316 =] VRS 108, S. 127 ff.). Andererseits reicht ein bloß entfernter Verdacht eines körperlichen oder geistigen Mangels für die Tatbestandsmäßigkeit des § 11 Abs. 2 FeV nicht aus (keine Anordnung einer Untersuchungsmaßnahme “ins Blaue hinein’, vgl. BVerwG, Urt. v. 5.7.2001 – 3 C 13/01, [zfs 2002, 47 =] NJW 2002, 78 f. und juris).
Hiervon ausgehend erweist sich die Gutachtensanforderung vom 9.10.2015 gegenüber dem ASt. als materiell rechtswidrig. Es bestanden zum damaligen Zeitpunkt – wie im Übrigen auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung – keine tatsächlichen hinreichenden Anhaltspunkte, die bei vernünftiger Einschätzung hier die ernsthafte Besorgnis begründeten, dass beim ASt. ein körperlicher Mangel i.S.d. Nr. 2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV vorliegt, der Bedenken an seiner Eignung zum Führen von Kfz zu begründen vermochte.
Die von der AG in der Gutachtensanordnung vom 9.10.2015 angeführten Tatsachen, nämlich eine ohrenärztlich attestierte Schwerhörigkeit mit einem Verlust von 56 % des rechten und 100 % des linken Hörvermögens, weswegen der ASt. ein Hörgerät trägt, vermögen die auf § 11 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 2 S. 3 Nr. 5 FeV gestützte Gutachtensanforderung nicht zu rechtfertigen. So besteht nach Nr. 2 der Anlage 4 zu §§ 1, 13 und 14 FeV bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit (Hörverlust von 60 % und mehr) ein- oder beidseitig sowie...