VVG § 204 Abs. 1 S. 1 § 203 Abs. 1 S. 2; BGB § 316
Leitsatz
Ein privater Krankenversicherer ist grds. berechtigt, beim Wechsel von einem Tarif mit Pauschalprämie, in die das durch Vorerkrankungen des Versicherten bedingte Risiko zuschlagsfrei einkalkuliert war, in einen Tarif mit Grundprämie für ein Basisrisiko und Risikozuschlägen einen individuellen Risikozuschlag gem. § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 203 Abs. 1 S. 2 VVG i.V.m. § 316 BGB zu erheben.
BGH, Urt. v. 15.7.2015 – IV ZR 70/15
Sachverhalt
Der Kl. begehrt die Feststellung, dass die Bekl. bei dem von ihm beabsichtigten Tarifwechsel in der privaten Krankenversicherung keinen Risikozuschlag erheben darf. Er unterhält bei der Bekl. seit dem 1.4.1998 eine Krankheitskostenversicherung nach den Tarifen VS und V (im Folgenden Herkunftstarif). In seinem Antrag vom 14.4.1998 hatte er bei den Gesundheitsfragen "Nierensteinzertrümmerung rechts" angegeben. Die nach dem Vortrag der Bekl. aufgrund dieser Angabe vorgenommene Risikoeinstufung wurde von ihr im Herkunftstarif zum Pauschaltarif ohne Risikozuschlag mitversichert. Der Kl. zahlte für den Herkunftstarif zuletzt 346,76 EUR monatlich. Im November 2010 beantragte der Kl. den Wechsel in den Kompakttarif A. Plus (A) der Bekl. (im Folgenden Zieltarif). Die Bekl. verlangte für den Fall des Tarifwechsels die Zahlung eines monatlichen Risikozuschlags i.H.v. zuletzt 32,96 EUR, insgesamt für den Zieltarif 274,33 EUR. Da es der Kl. ablehnte, die Vereinbarung zum Risikozuschlag zu unterzeichnen, kam der gewünschte Tarifwechsel bislang nicht zustande.
2 Aus den Gründen:
[7] "… Der Kl. beruft sich zu Unrecht darauf, die Bekl. dürfe bei einem Wechsel aus dem Herkunfts- in den Zieltarif keinen Risikozuschlag verlangen. Vielmehr kann die Bekl. einen solchen gem. § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 203 Abs. 1 S. 2 VVG i.V.m. § 316 BGB erheben."
[8] 1. Dem Kl. steht gegen die Bekl. ein Anspruch auf Tarifwechsel gem. § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Hs. 1 VVG zu. Hiernach kann der VN bei einem bestehenden unbefristeten Versicherungsverhältnis vom VR verlangen, dass dieser Anträge auf Wechsel in andere Tarife mit gleichartigem Versicherungsschutz unter Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte und der Alterungsrückstellung annimmt. Mit diesem Tarifwechselrecht wird bezweckt, insb. älteren VN bei Schließung ihres Tarifs (“Herkunftstarif’) die Möglichkeit zu eröffnen, eingetretene Kostensteigerungen durch einen Wechsel in einen anderen Tarif des VR (“Zieltarif’) zu vermeiden (Senat VersR 2012, 1422 Rn 7 … ). Dieser Tarifwechselanspruch ist ein Optionsrecht des VN im Rahmen des den VR treffenden Kontrahierungszwangs auf Inhaltsänderung des bestehenden Krankenversicherungsvertrages. … Die Voraussetzungen dieses Tarifwechselanspruchs sind gegeben.
[9] 2. Besteht ein Anspruch des VN auf einen Tarifwechsel, so kann der VR, soweit die Leistungen in dem Tarif, in den der VN wechseln will, höher oder umfassender sind als in dem bisherigen Tarif, für die Mehrleistung einen Leistungsausschluss oder einen angemessenen Risikozuschlag und insoweit auch eine Wartezeit verlangen (§ 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 VVG).
[10] a) Zwar sind die Leistungen im Zieltarif hier nicht höher oder umfassender als im Ausgangstarif. Aus § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG kann aber nicht gefolgert werden, dass die Erhebung eines Risikozuschlages nur bei höherer oder umfassenderer Leistung zulässig ist. Wie das BVerwG bereits zu § 178f Abs. 1 S. 2 VVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung, die der jetzigen Regelung in § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Hs. 2 VVG entspricht, entschieden hat, wird dort nur ein spezieller Sachverhalt geregelt, bei dem der Tarifwechsel mit einer Risikoerhöhung für den VR verbunden ist. Hieraus folgt nicht, dass ein Risikozuschlag in Fällen, in denen diese Besonderheit nicht vorliegt, nicht zulässig wäre (BVerwGE 108, 325 juris Rn 21). Dies ergibt sich schon daraus, dass im Zieltarif ohne weiteres ein Risikozuschlag zulässig ist, wenn ein solcher bereits im Herkunftstarif vereinbart war.
[11] Ein solcher Fall liegt hier zwar nicht vor, da im Herkunftstarif kein Risikozuschlag vereinbart war. Wechselt ein VN aber aus einem Tarif mit einer Pauschalprämie, in die das durch Vorerkrankungen des Versicherten bedingte Gesamtrisiko einkalkuliert war, in einen Tarif mit Grundprämie für ein Basisrisiko und individuellen Risikozuschlägen, so ist der VR nicht gehindert, im Zieltarif Risikozuschläge zu erheben, sofern dieser dies für die Risikoklasse vorsieht, in die der VR bei Abschluss der Versicherung den Versicherten eingestuft hatte. Ein Recht auf Freiheit von Risikozuschlägen auch in einem völlig anders kalkulierten Tarif erwirbt der VN mit dem Abschluss des Vertrages zu einer Pauschalprämie nicht. Der Gesetzgeber mag einen solchen eher atypischen Fall nicht ins Auge gefasst haben. Eine interessengerechte Auslegung des Gesetzes ergibt indessen, dass auch in diesem Fall die Erhebung eines Risikozuschlages nicht ausgeschlossen ist. Die innere Rechtfertigung hierfür liegt darin, dass die Krankenversich...