Während der VGH München sich in seinem Beschluss vom 26.6.2015 noch auf den Standpunkt stellte, dass aufgrund divergierender Rechtsprechung die Frage, ob in jedem Fall einer strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis die Überprüfung der Kraftfahreignung durch Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung zu erfolgen hat, mangels bis zu diesem Zeitpunkt vorliegender höchstrichterlicher Entscheidung nicht abschließend beantwortet werden könne, kommt er in seinem Urteil vom 17.11.2015 nunmehr zu folgendem Ergebnis:
" … Wird einem Betroffenen die Fahrerlaubnis durch ein Strafgericht entzogen, weil er unter Alkoholeinfluss ein Kfz im Straßenverkehr geführt hat, bedarf es im Neuerteilungsverfahren, unabhängig von der im Rahmen der Trunkenheitsfahrt vorgelegenen Blutalkoholkonzentration, der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (§ 13 S. 1 Nr. 2d i.V.m. § 13 S. 1 Nr. 2a FeV). … "
Folgt man der aktuellen Entscheidung des VGH München vom 17.11.2015 dann wäre nach entsprechender Auslegung des § 13 im Sinne des VGH Mannheim auch die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung aufgrund einer erreichten BAK von 0,3 Promille möglich.
Dieser Auffassung haben sich parallel zur Fortentwicklung der Mannheimer Rechtsprechung unter Verweis auf dessen Interpretation andere Oberverwaltungsgerichte (siehe Abb. 1) entweder angeschlossen oder diese kategorisch abgelehnt.
Abb. 1: Verwaltungsrechtliche Eingriffsstufe zur Anordnung einer MPU nach § 13 FeV
Greift man die Entscheidung des VGH München einmal inhaltlich auf, dann zeigt uns diese exemplarisch die allgemein übliche Herangehensweise der Rechtsprechung an Problemstellungen im Fahrerlaubnisrecht. Zum einen unterstreicht der VGH die Notwendigkeit einer Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung nach § 13 S. 1 Nr. 2a FeV unter Rn 6 nicht nur aufgrund der Tatsache, dass ein Fahrzeug unter 1,28 Promille geführt wurde, sondern auch aufgrund ergänzender gewichtiger Gründe:
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höhere BAK um die Mittagszeit und |
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ein sorgloser Umgang mit Melissengeist, der bei der Betroffenen in nicht unerheblicher Menge vorhanden war. |
Aus verwaltungsrechtlicher Sicht wäre im vorliegenden Fall der Anordnungsumweg über § 13 S. 1 Nr. 2a i.V.m. Nr. 2d FeV nicht erforderlich gewesen, sondern es wäre die ansonsten im Verwaltungsbereich gängige Praxis, in solchen Fällen die medizinisch-psychologische Begutachtung über § 13 S. 1 Nr. 2a Alt. 2 anzuordnen, ausreichend gewesen. Auf diese Möglichkeit weist auch Koehl aktuell hin.
Allerdings untermauert der VGH München seine Sichtweise zur Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung ab 0,3 Promille ergänzend mit zwei weiteren Argumenten:
Zum einen stellt er die Überprüfung der Eignung durch die Gerichte in den Strafverfahren auf die gleiche qualitative Stufe wie eine Eignungsüberprüfung im Verkehrsverwaltungsverfahren durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung (Abb. 2).
Hier handelt es sich realistisch gesehen nur um einen theoretischen Ansatz. Die Annahme, dass die Strafgerichte bei Trunkenheitsfahrten eine Einzelfallprüfung im Zusammenhang mit der Eignung der Betroffenen vornehmen, entspricht zwar dem Buchstaben des Gesetzes, jedoch nicht der gängigen Praxis. Stellt sich ergänzend die Frage, auf welcher fachlich-sachlichen Grundlage diese Eignungsfrage durch einen Juristen geklärt werden könnte, spricht man den Verwaltungsmitarbeitern einen solchen Sachverstand doch ab und verpflichtet diese, sich für die Beantwortung solcher Eignungsfragen eines Spezialisten (medizinisch-psychologischer Gutachter) zu bedienen.
Abb. 2: Gleichstellung der Eignungsprüfungen
Zum anderen führt der VGH München in seiner Entscheidung vom 17.11.2015 aus, dass auch im Falle einer strafrechtlichen Entziehung bei Werten zwischen 0,3 und 1,1 Promille verwaltungsrechtlich die Eignung in Frage zu stellen ist, "da das Fahrerlaubnisrecht einen BAK-Wert von 1,1 Promille nicht kennt".
Formalrechtlich ist dies sicherlich zutreffend, allerdings stellt sich die Frage, ob in diesem Fall eine Alkoholfragestellung, die unter Anwendung des § 13 FeV ausschließlich zu stellen wäre, aus fachlich-sachlicher Sicht überhaupt zielführend wäre. Aufgrund welcher Problemstellung soll die Verwaltungsbehörde hier von einer Alkoholproblematik ausgehen?
Es stellt sich die Frage, ob das nützlich für das Gesamtsystem ist und ob bei dieser Auslegung nicht auch die Akzeptanz der medizinisch-psychologischen Begutachtung Schaden nimmt. Lässt doch eine lediglich einmalige Alkoholfahrt mit einer niedrigeren Blutalkoholkonzentration für sich betrachtet noch Raum für die Annahme, dass es sich um eine Ausnahme handelt, der Betroffene also nicht grundsätzlich unwillig oder unfähig ist, den Konsum von Alkohol in fahreignungsbeeinträchtigend hoher Menge und das Führen von Kraftfahrzeugen zu trennen.
Über die Argumentationsketten des VGH München oder auch des VGH Mannheim kann man jetzt trefflich streiten, zielführend ist diese Diskussion sicherlich ...