BGB § 240 Abs. 2 § 251 Abs. 2 S. 2 § 254 § 823 Abs. 1 § 833 S. 1 § 840 Abs. 3; GG Art. 20a; TierSchG § 1; ZPO § 287
Leitsatz
1. Im Fall der Verletzung eines Tieres ist § 251 Abs. 2 S. 2 BGB dahin auszulegen, dass die aus der Heilbehandlung des Tieres entstandenen Aufwendungen nicht bereits dann unverhältnismäßig sind, wenn sie dessen Wert erheblich übersteigen.
2. Zur Ermittlung der noch verhältnismäßigen Heilbehandlungskosten bedarf es stets einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls seitens des Tatrichters. Dabei kann auch das individuelle Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem verletzten Tier von Bedeutung sein.
3. Im Fall der Verletzung eines Tieres kann der Schädiger den Geschädigten bei unverhältnismäßig hohen Heilbehandlungskosten nicht gem. § 251 Abs. 2 S. 1 BGB auf Wertersatz in Geld verweisen; der Schädiger schuldet dem Geschädigten vielmehr – in Ausnahme von dieser Vorschrift – Ersatz der noch als verhältnismäßig zu erachtenden Tierbehandlungskosten.
BGH, Urt. v. 27.10.2015 – VI ZR 23/15
Sachverhalt
Der Kl. macht die Verurteilung des Bekl. wegen der Verletzung seines Hundes geltend. Die Ehefrau des Kl. ging in Begleitung des Hundes des Kl. am Grundstück des Bekl. vorbei. Der sich auf diesem Grundstück befindliche nicht angeleinte Hund des Bekl. sprang über den Zaun und fügte dem Hund des Kl. erhebliche Verletzungen zu. Die tierärztliche Behandlung kostete 4.177,59 EUR, von der die Tierhalterversicherung des Bekl. die Hälfte erstattete.
Das AG hat den Bekl. zur Zahlung von 1.253,28 EUR verurteilt, wobei es aus der von dem Hund des Kl. ausgehenden Tiergefahr eine Mithaftung des Kl. von 20 % ableitete. Auf die Berufung des Bekl. hat das LG die Klage unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils abgewiesen, soweit der Bekl. zur Zahlung von mehr als 311,20 EUR verurteilt worden ist, die weitgehende Berufung des Kl. hat es zurückgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kl. die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Der Bekl. hat Anschlussrevision mit dem Ziel einer vollständigen Klageabweisung eingelegt. Die Revision des Kl. hatte lediglich hinsichtlich der angegriffenen Mithaftung des Kl. Erfolg. Im Übrigen beanstandete der BGH die Schadensberechnung des BG nicht. Die Anschlussrevision des Bekl. blieb ohne Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[3] "… Das BG hat den gegen die Quotenbildung gerichteten Berufungsangriffen den Erfolg versagt. Dabei hat es vor allem berücksichtigt, dass der Wolfshund des Bekl. allein aufgrund seiner Konstitution gefährlicher gewesen sei als der deutlich kleinere Hund des Kl. und dass der Bekl. seinen Hund frei ohne Aufsicht habe laufen lassen, weshalb er ihn nicht unter Kontrolle gehabt habe. Zwar sei auch der Hund des Kl. nicht angeleint gewesen. Es könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beißerei andernfalls verhindert worden wäre. Dass das AG nicht festgestellt habe, dass der Hund des Kl. den Hund des Bekl. gebissen habe, bevor dieser ihn angegriffen habe, sei nicht zu beanstanden und im Übrigen auch unerheblich."
[4] Der Höhe nach hat das BG den ersatzfähigen Schaden mit 3.000 EUR bemessen, so dass es nach Abzug der vorgerichtlichen Zahlung die Klageforderung nur i.H.v. 311,20 EUR für berechtigt gehalten hat (3.000 EUR x 80 % – 2.088,80 EUR). Die den Betrag von 3.000 EUR übersteigenden Behandlungskosten hat es als unverhältnismäßig angesehen. § 251 Abs. 2 S. 2 BGB führe nicht dazu, dass bei der Verletzung von Tieren keine Verhältnismäßigkeitsgrenze existiere. Für deren Bestimmung sei eine genaue Festlegung des Wertes des Hundes nicht erforderlich, weil sich angesichts der geringen Preise, die für derartige Tiere erfahrungsgemäß gezahlt würden, ein dem Gerechtigkeitsempfinden und dem Anliegen des Gesetzgebers entsprechendes Ergebnis so nicht begründen lasse. Den Bekl. treffe lediglich eine einfache Sorgfaltspflichtverletzung, aus der heraus eine besondere Anhebung der Verhältnismäßigkeitsgrenze nicht zu begründen sei. Im Gegenzug böten tiermedizinische Überlegungen keinen Anhaltspunkt für eine Begrenzung der Haftung, da die Behandlung uneingeschränkt erfolgreich gewesen sei, woran es offenbar auch von Anfang an keinen Zweifel gegeben habe. Die Bemühungen der Kammer, die individuelle Beziehung des Kl. zu seinem Hund zu ergründen, hätten ergeben, dass es sich um einen durchschnittlichen Familienhund handele, eher ein wenig loser mit der Familie verbunden als wirkliche “Schoßhunde’. Entscheidend komme es daher darauf an, was ein verständiger Tierhalter in der Lage des Geschädigten aufgewendet hätte. Das einzige objektive Kriterium ergebe sich letztlich aus den Kosten, die der Eigentümer unabhängig von dem Schadensfall für das Tier aufzuwenden bereit sei. Für einen Hund fielen am Wohnort des Kl. jährlich Kosten von rund 1.000 EUR an (Tierarzt, Steuer, Futter, Versicherung). Der verständige Besitzer eines durchschnittlich begabten und sympathischen Hundes werde noch das Dreifache dieses Betrags aufwenden, um den Hund behandeln zu lassen. Mehr jedoch sei als verständige w...