Seit dem Jahr 2012 findet er regelmäßig statt: der Blitzmarathon. Was als Pilotprojekt in Nordrhein-Westfalen unter Federführung seines Erfinders, NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD), begann, hat sich in den darauffolgenden Jahren schnell zu einem bundes- und mittlerweile auch europaweiten Ereignis entwickelt, bei dem an bestimmten Tagen Polizei und Ordnungsbehörden jeweils 24 Stunden lang "Jagd" auf sog. Temposünder machen. Schenkt man den Verantwortlichen Glauben, so dienen die stets unter einem öffentlichkeitswirksamen Motto wie "Brems Dich – rette Leben" oder "Respekt vor Leben – ich bin dabei" durchgeführten Maßnahmen ausschließlich der Erhöhung der Verkehrssicherheit, insbesondere der Reduzierung von Unfällen mit Schwerverletzten und Todesopfern aufgrund überhöhter Geschwindigkeit. Ein hehres Ziel, keine Frage. Ob aber solch großangelegte eintägige Geschwindigkeitskontrollen tatsächlich ein probates Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind, wird von Kritikern angezweifelt. Verschwendung von Personalressourcen, keine nachhaltige Wirkung oder gar reine Abzocke – all dies sind Vorwürfe, denen sich die Verantwortlichen von Beginn an ausgesetzt sehen. Zu Recht? Die im Juli 2016 veröffentlichte Jahresstatistik des Statistischen Bundesamtes zur "Unfallentwicklung auf deutschen Straßen 2015" zeichnet nach vier bundesweit durchgeführten Blitzmarathons ein ernüchterndes Bild. Im Vergleich zum Vorjahr 2014 stieg die Zahl der polizeilich erfassten Unfälle um 4,8 % auf 2.516.831 an, wobei die Verkehrstoten mit 3.459 und einem Zuwachs von 2,8 % zum zweiten Mal in Folge einen Anstieg aufwiesen. Angesichts dieser Zahlen ist die Frage nach der Sinnhaftigkeit solcher Projekte berechtigt. Eine die Messungen in Nordrhein-Westfalen aus dem April 2015 begleitende Studie des Instituts für Straßenwesen an der RWTH Aachen gelangt zu dem Ergebnis, dass die an den Messpunkten gefahrenen Geschwindigkeiten während des Blitzmarathons nur zwei bis drei Stundenkilometer niedriger waren als vor oder nach den Massenmessungen und dass selbst dieses geringfügig veränderte Fahrverhalten gerade einmal bis zu drei Wochen nach Beendigung eines Blitzmarathons anhalte. Ein Ergebnis, das unter Berücksichtigung der mit dem Blitzmarathon verfolgten Intention einem Offenbarungseid seiner Verteidiger gleichkommt und den Minister dennoch nicht anficht. Verstärkt wird der Eindruck der Nutzlosigkeit der Maßnahme, wenn man sich die gängige Praxis der Wahl der Messstandorte vergegenwärtigt, die oft nicht nach Unfallträchtigkeit, sondern nach Mengenpotenzial bestimmt werden. Gleiches gilt für die Messtage, die bundesweit bisher ausschließlich zwischen Montag und Donnerstag gelegen haben, obwohl sich die meisten tödlich verlaufenden Unfälle, laut Statistik, an den verkehrsärmeren Wochenenden, insbesondere sonntags, ereignen (Verkehrsstatistiken 2013–2015, jeweils S. 63). Insofern wirkt die Bekundung der Kommunen, entsprechende Bußgeldeinnahmen seien im Verhältnis zum beabsichtigten Ziel der Messungen nur ein positiver Nebeneffekt, wenig glaubhaft. Geschwindigkeitskontrollen sind wichtig, keine Frage. Aber sie müssen sinnvoll durchgeführt werden, z.B. mit fest installierten Anlagen an unfallträchtigen Stellen oder durch mobile Messungen an Tagen mit den statistisch meisten Verkehrstoten. Nur so kann der notwendige Kontrolldruck aufgebaut werden, um Verkehrsteilnehmer dauerhaft zur Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit anzuhalten. In seiner jetzigen Form aber ist der Blitzmarathon genau das, was er in den Augen seiner Kritiker von Anfang an war: ein öffentlichkeitswirksames Ereignis, das schöne Bilder mit Politikern und Einnahmen für klamme Kommunen generiert, den immensen Personalaufwand (etwa 13.000 Beamte beim ersten bundesweiten Blitzmarathon 2013) aber unter keinem rationalen Gesichtspunkt rechtfertigt. Dies haben auch einige Bundesländer erkannt und sich deshalb aus dem Projekt zurückgezogen.
Autor: Jens Dötsch
RA Jens Dötsch, FA für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht, Andernach
zfs 4/2017, S. 181