VV RVG Nr. 4141; StPO § 170 Abs. 2
Leitsatz
Rät der Verteidiger dem Beschuldigten, sich bei der polizeilichen Vernehmung zur Sache zu äußern und kommt dieser diesem Rat nach, indem er die ihm zur Last gelegte Tat bestreitet, was dann zur Einstellung des Verfahrens gem. § 170 Abs. 2 StPO wegen fehlenden hinreichenden Tatverdachts führt, so fällt dem Verteidiger die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG an.
(Leitsatz der Schriftleitung)
AG Kronach, Beschl. v. 16.12.2016 – Gs 16/16
Sachverhalt
Die StA Kronach führte gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern. Der dem Beschuldigten bestellte Pflichtverteidiger begleitete diesen zu der Vernehmung bei der Kriminalpolizei und erteilte seinem Mandanten den Rat, sich zu den Tatvorwürfen zu äußern. Dem kam der Beschuldigte nach und bestritt die Vorwürfe. Hieraufhin stellte die StA das Verfahren durch Verfügung v. 22.8.2016 gem. § 170 Abs. 2 StPO mit der Begründung ein, aufgrund dieses Bestreitens der Tat durch den Beschuldigten und der nicht ausreichenden Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin könne kein hinreichender Tatverdacht bejaht werden.
Der Pflichtverteidiger hat hierauf die Festsetzung der ihm aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen, darunter einer zusätzlichen Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG, beantragt. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Festsetzung dieser Gebühr abgelehnt. Die von dem Pflichtverteidiger hiergegen eingelegte Erinnerung hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"Die zulässige Beschwerde ist begründet. Dem Verteidiger wurde in der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht die Verfahrensgebühr gem. Nr. 4141 VV RVG i.H.v. 132 EUR versagt."
Nach der Anm. Abs. 2 zu Nr. 4141 VV RVG soll der Verteidiger die Zusatzgebühr dann nicht erhalten, wenn ein Beitrag zur Förderung des Verfahrens nicht ersichtlich ist. Dem Erinnerungsführer ist vorliegend zuzugestehen, dass an das Maß der Mitwirkung des Verteidigers keine allzu hohe Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. LG Arnsberg JurBüro 2007, 82). So kann schon die Empfehlung, der Mandant solle sich auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen, ausreichen, wenn das Verfahren alsbald nach § 170 StPO eingestellt wird (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl., Nr. 4141–4147 VV RVG, Rn 14). Wenn der Rat zum Schweigen für das Auslösen des Gebührentatbestandes genügt, dann muss dies auch für den umgekehrten Fall gelten, nämlich für den Rat, vor den Ermittlungsbehörden Angaben zum Sachverhalt zu machen.
So verhält es sich hier. Der Verteidiger hat den Beschuldigten zur Vernehmung vor der KPI Coburg am 20.6.2016 begleitet Der Beschuldigte hat sich zweifellos auf das Anraten seines Verteidigers zu den Tatvorwürfen geäußert. Wie aus der Einstellungsverfügung der StA Coburg v. 22.8.2016 hervorgeht, konnte aufgrund dieses Bestreitens der Tat durch den Beschuldigten und der nicht ausreichenden Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin kein hinreichender Tatverdacht bejaht werden, so dass das Verfahren mit Verfügung v. 22.8.2016 gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. … “
3 Anmerkung:
Kurz, aber im Ergebnis zutreffend hat das AG Kronach hier den Anfall der zusätzlichen Gebühr bejaht.
I. Nicht nur vorläufige Einstellung
Nach Abs. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 4141 VV RVG entsteht diese Gebühr, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird und das Strafverfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird. Dies gilt nach Abs. 2 S. 1 der Anm. zu Nr. 4141 VV RVG nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht ersichtlich ist. Von dieser Regelung werden nach allg. Auffassung alle Verfahrenseinstellungen mit dem Ziel der Endgültigkeit erfasst, somit auch die Einstellung nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 22. Aufl., Nr. 4141 VV RVG, Rn 5).
II. Anwaltliche Mitwirkung
Hierzu genügt jede auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit des Rechtsanwalts (BGH RVGreport 2008, 431 (Burhoff) = AGS 2008, 491= zfs 2008, 709 m. Anm. Hansens). Deshalb sind an die anwaltliche Mitwirkung keine besonderen Anforderungen zu richten. Folglich genügt nach zutreffender Auffassung des BGH für die insoweit identische Bestimmung der Nr. 5115 VV RVG (RVGreport 2011, 182 (Burhoff) = AGS 2011, 128 m. teilw. kritischer Anm. N. Schneider = zfs 2011, 285 m. Anm. Hansens) auch der Rat des Verteidigers, zu dem erhobenen Vorwurf zu schweigen. Gewissermaßen spiegelbildlich genügt dann auch der hier von dem Pflichtverteidiger dem Beschuldigten erteilte Rat, sich zu den Tatvorwürfen zur Sache zu äußern.
III. Gebührenhöhe
Dem Pflichtverteidiger fällt die zusätzliche Gebühr in Höhe des Festbetrags der jeweiligen Verfahrensgebühr an. Für den Wahlanwalt bestimmt sich die zusätzliche Gebühr nach der ausdrücklichen Regelung in Abs. 3 S. 2 der Anm. zu Nr. 4141 VV RVG nach der Rahmenmitte der Verfahrensgebühr (vgl. statt vieler KG RVGreport 2012, 110 (Burhoff) = JurBüro 2012, 466; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O. Rn 50; Burhoff, RVGreport 2015, 3, 8). Es handelt sich folglich für den Wahlanwa...