ZPO § 93 § 269 Abs. 3 S. 3
Leitsatz
1) Bei der Regulierung von Unfallschäden ist dem Kfz-Versicherer grds. eine Prüffrist zuzubilligen, vor deren Ablauf Verzug nicht eintritt und auch eine Klage nicht veranlasst ist.
2) Eine verfrühte Klage des Geschädigten vor Ablauf der Prüffrist birgt für den Geschädigten die Gefahr, dass der Haftpflichtversicherer ein sofortiges Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast abgibt (§ 93 ZPO), oder bei fristgerechter Regulierung und anschließender Klagerücknahme des Geschädigten oder übereinstimmender Erledigungserklärung auf eine ihm günstige Kostenentscheidung vertrauen kann.
3) Die Prüffrist beginnt mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens und beträgt im Allgemeinen vier bis sechs Wochen. Die Prüffrist verlängert sich, wenn ein komplexer Unfallhergang, Auslandsberührung oder in diesen Zeitraum fallende Feiertage vorliegen.
4) Grds. rechtfertigt die beabsichtigte, von den Ermittlungsbehörden nicht gewährte Einsicht in die Ermittlungsakten keine Verlängerung der Prüffrist. Wirkt der Geschädigte an der versuchten Einsicht in die Ermittlungsakte mit und widerspricht er dem Verlangen der Haftpflichtversicherung auf Verlängerung der Prüffrist nicht, kann es nach Treu und Glauben geboten sein, die Prüffrist zu verlängern.
5) Das den Beginn der Prüffrist auslösende Anspruchsschreien erfordert vor allem eine Schilderung des Unfallhergangs, um der Haftpflichtversicherung die Prüfung der Eintrittspflicht zu ermöglichen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Saarbrücken, Beschl. v. 19.11.2017 – 4 W 16/17
Sachverhalt
Nach einem Verkehrsunfall vom 5.1.2017 forderte der geschädigte Kl. von dem Unfallgegner und dessen Haftpflichtversicherer in einem Anwaltsschreiben vom 13.1.2017 unter Fristsetzung bis zum 27.1.2017 den vorläufig bezifferten Schadensersatz und die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten gefordert. Sie reichte am 31.1.2017 einen von ihr ausgefüllten Fragebogen für Anspruchssteller nach, den die Haftpflichtversicherung des Schädigers am 25.1.2017 übersandt hatte.
Eine Zahlung der Haftpflichtversicherung unterblieb.
Nach Einreichung der Klageschrift vom 14.2.2017 beim LG Saarbrücken am 17.2.2017 über eine Hauptforderung i.H.v. 9.384,67 EUR und außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 887,03 EUR, jeweils nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 14.2.2017, hat die Kl. auf die Kostenrechnung des LG den Gerichtskostenvorschuss eingezahlt. Die Bekl. zu 2) hat auf der Grundlage ihres Abrechnungsschreibens vom 28.2.2017 und einer Haftungsquote beider Unfallbeteiligten von jeweils 50 % mit Wertstellung zum 6.3.2017 an die Kl. einen Betrag von 4.650,69 EUR auf die Hauptforderung und von 492,54 EUR auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten gezahlt. Am 8.3.2017 ist die Klage beiden Bekl. zugestellt worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem LG am 2.6.2017 hat die Kl. nach Aufruf der Sache und Einführung in den Sach- und Streitstand die Klage in Höhe der geleisteten Zahlungen zurückgenommen und Kostenantrag gestellt.
Das LG hat unter Abweisung der weitergehenden Klage die Bekl. als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kl. weitere 9.388,67 EUR abzgl. am 6.3.2017 gezahlter 4.650,69 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 21.2.2017 sowie 887,03 EUR abzgl. am 6.3.2017 gezahlter 492,54 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 21.2.2017 zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits hat das LG der Kl. und den Bekl. als Gesamtschuldnern jeweils zur Hälfte auferlegt.
(…) Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Kl. mit dem Antrag unter Abänderung der Entscheidung die Kosten des Rechtsstreits den Bekl. als Gesamtschuldnern aufzuerlegen. Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die sofortige Beschwerde, die der Senat für zulässig ansah, hatte in der Sache keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … [6] 2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das LG hat der Kl., soweit die Klage zurückgenommen worden ist, jedenfalls im Ergebnis zu Recht die Kosten auferlegt."
[7] a) Ist der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und wird die Klage daraufhin zurückgenommen, so bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen, § 269 Abs. 3 S. 3 Hs. 1 ZPO.
[8] aa) Das Gericht ist bei der (gemischten) Kostenentscheidung nach Teilklagerücknahme wie bei einer Entscheidung nach § 91a ZPO an die allgemeinen Regeln des Kostenrechts gebunden. Daher hat nach billigem Ermessen derjenige die Kosten zu tragen, dem sie bei Fortführung des Verfahrens nach §§ 91–97, 100, 101 ZPO hätten auferlegt werden müssen. Grds. trifft somit die Partei die Kostenlast insgesamt oder anteilig, die ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses voraussichtlich ganz oder teilweise unterlegen wäre (Flockenhaus, in: Musielak/Voit, ZPO 14. Aufl. § 91a Rn 23). Dafür ist eine Erfolgsprognose auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstands zu treffen. Zu würdigen sind nicht nur die unstr...