VVG § 193 Abs. 3
Leitsatz
Ein Elektrostimulationsgerät ist nicht als orthopädischer Stützapparat oder als Motorbewegungsschiene zu betrachten. Aufwendungen für dessen Anschaffung sind auch dann nicht zu erstatten, wenn sie in der gesetzlichen Krankenversicherung erstattungsfähig wären.
(Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 5.7.2017 – IV ZR 116/15
Sachverhalt
Der Kl. leidet infolge des Ausfalls von Nervenfunktionen an einer Fußhebeschwäche, deretwegen ein Elektrostimulationsgerät "Walk Aide 1000" eingesetzt werden soll, welches über eine Manschette elektrische Signale an den Peronealnerv sendet und so die Steuerung des Fußes und Fußgelenks ermöglicht. Er streitet mit seinem privaten Krankenversicherer darüber, ob dieser die Kosten für das Gerät i.H.v. 4.829 EUR erstatten muss.
Die AVB (…) regeln (…) die Erstattung von Hilfsmitteln wie folgt:
"Erstattungsfähig sind bei medizinischer Notwendigkeit ausschließlich"
a) die Aufwendungen für (…), orthopädische Stützapparate, (…), Beinprothesen, (…), (…).
Zusätzlich sind bei medizinischer Notwendigkeit ausschließlich die Aufwendungen für folgende Hilfsmittel erstattungsfähig, sofern sie nach vorheriger Abstimmung mit (…) [dem VR] über das Hilfsmittel-Management (…) [des VR] bezogen werden:
(…), Motor-Bewegungsschienen (…).“
Der Kl. meint, das Elektrostimulationsgerät sei ein orthopädischer Stützapparat im Sinne der genannten Bedingungen, die insoweit weit und "zukunftsfähig" ausgelegt werden müssten. Jedenfalls sei das Gerät auch den erstattungsfähigen "Beinprothesen" und/oder "Motor-Bewegungsschienen" zuzuordnen. Im Übrigen sei der beklagte Krankenversicherer verpflichtet, zumindest die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar zuzusichern. In der gesetzlichen Krankenversicherung sei das Elektrostimulationsgerät als medizinisch notwendiges Hilfsmittel erstattungsfähig. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
2 Aus den Gründen:
" … [10] 1. Zu Recht hat das BG die Regelungen über die Erstattung der Kosten für Hilfsmittel in Teil II § 5 Abs. 4 der Versicherungsbedingungen dahin ausgelegt, dass dort ein abgeschlossener Katalog erstattungsfähiger Hilfsmittel erstellt ist. Das ergibt schon die zweimalige Verwendung des Wortes “ausschließlich‘ vor den jeweiligen Aufzählungen von Hilfsmitteln. Dagegen erinnert die Revision auch nichts (zur Wirksamkeit abgeschlossener Hilfsmittelkataloge vgl. Senat 19.5.2004 – IV ZR 176/03, juris Rn 26 ff.)."
[11] 2. Soweit sie beanstandet, das BG habe das Elektrostimulationsgerät zu Unrecht nicht als bedingungsgemäßen Stützapparat eingestuft und verkannt, dass eine “zukunftsfähige‘ Auslegung der Hilfsmittelliste geboten sei, deckt das weder einen Revisionszulassungsgrund noch einen Rechtsfehler des BG auf.
[12] a) AVB sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständigungsmöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an (…).
[13] Ein solcher VN wird zunächst vom Wortlaut der Bedingung ausgehen, wobei für ihn der Sprachgebrauch des täglichen Lebens maßgebend ist (…).
[14] b) Diese Maßstäbe hat das BG beachtet und zu Recht angenommen, für einen orthopädischen Stützapparat sei eine Stützfunktion bezeichnend, die das Stimulationsgerät nicht erfülle. Ein Stützapparat ist nach dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens ein mechanisches Gerät, das infolge seiner eigenen Stabilität in der Lage ist, Gewichte oder Kräfte aufzunehmen, um so Körperteile oder Gliedmaßen, die damit überfordert sind, zu unterstützen, zu entlasten und/oder zu ersetzen (vgl. dazu auch OLG Köln r+s 2016, 248 Rn 27). Ein Gerät, das lediglich elektrische Impulse aussendet, um Muskeln anzuregen, übernimmt deren Stützfunktion nicht. Insoweit zielt der Revisionsangriff auf eine analoge Erweiterung der Hilfsmittelliste, die sich angesichts der oben beschriebenen Regelungstechnik eines abgeschlossenen Hilfsmittelkatalogs verbietet.
[15] c) Im Übrigen ist auch nichts dafür ersichtlich, dass insoweit ein grundsätzlicher Klärungsbedarf infolge einer Diskussion in Rspr. und Literatur über die genannte Auslegung bestünde. Auch das BG hat einen solchen Klärungsbedarf nicht angenommen, sondern die Revision allein mit Blick auf die nachfolgende Rechtsfrage zugelassen.
[16] 3. Die Revision meint, selbst wenn das vom Kl. genutzte Stimulationsgerät nicht unter die Geräte der Hilfsmittelliste zu subsumieren sei, sei die Bekl. zur Kostenerstattung verpflichtet, weil sie – auch unter Zugrundelegung des hier vereinbarten Tarifs – seit Einführung des Basistarifs in der privaten Krankenversicherung nicht mehr hinter den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, welche die Kosten für das Elektrostimulationsgerät erstatte, zurückstehen dürfe. Mit § 193 Abs. 3 VVG sei ein gesetzlicher Mindeststandard für alle nach dem 1.4.2007 (vgl. § 193 Abs. 3 S. 3 VVG) abgeschlossenen Krankenversicherungsverträge eingeführt worden. Der von den VR anzubietende Bas...