Ich wollte an dieser Stelle eigentlich aus zwei landgerichtlichen Urteilen zitieren, die mir im Verlauf des letzten halben Jahres auf den Schreibtisch gekommen sind. Eines davon erging aus der Position des Kammervorsitzes. Um jedoch auszuschließen, dass eine Identifizierung erfolgen kann, habe ich mich dafür entschieden, den Inhalt lediglich sinngemäß wiederzugeben. Im Ergebnis ging es in beiden Verfahren um Verkehrsunfälle zwischen einem Pkw und einem Radfahrer. In beiden Entscheidungen hat das jeweilige Gericht eine Haftungsabwägung unter Berücksichtigung der jeweiligen Betriebsgefahren (!) der Unfallbeteiligten vorgenommen, in beiden Fällen kam man zu dem Ergebnis, dass jedenfalls beim Auto die Betriebsgefahr höher sein soll. Immerhin, möchte man fast sagen.
Während es in dem einen Urteil trotz falscher Abwägung nicht vorhandener Betriebsgefahren noch durchaus vertretbar war, dem Radfahrer das alleinige Verschulden für den Unfall zu geben, stellte im anderen Fall das Gericht fest, dass von einem unaufklärbaren Unfallhergang auszugehen ist. Es hat daher eine hälftige Schadensverteilung vorgenommen.
Gerade die letztgenannte Entscheidung verkennt in eklatanter Weise die Grundsätze der Gefährdungshaftung und der Beweislastverteilung. Dass es durch einen langjährig am Landgericht tätigen Richter zu solchen Urteilen kommen kann, verdeutlicht ein nach wie vor gerade im Bereich des Verkehrsrechts erhebliches Problem: Die Anwaltschaft spezialisiert sich seit Jahren – seit Einführung des Fachanwalts für Verkehrsrecht haben fast 4.000 Anwälte eine entsprechende Qualifikation erlangt, bei der auf jeden Fall sichergestellt ist, dass neben den nicht unerheblichen Anforderungen an den Erwerb des entsprechenden Fachanwaltstitels pro Jahr mindestens 15 Stunden Fortbildung im entsprechenden Rechtsgebiet geleistet werden.
Auf Seiten der Justiz stellt man jedoch in erschreckend großer Häufigkeit fest, dass das Verkehrsrecht nicht so recht ernst genommen wird, wobei es natürlich auch hervorragend qualifizierte Richter gibt. Man geht wohl noch überwiegend davon aus, dass letztlich jeder Richter ohne weitere Qualifikation befähigt ist, entsprechende verkehrsrechtliche Sachverhalte, sei es nun im reinen Sach- oder auch Personenschaden, zu entscheiden. Dies schlägt sich häufiger darin nieder, dass bei Terminsverlegungsanträgen lapidar mitgeteilt wird, dass in dieser "einfachen Verkehrsunfallsache" doch gefälligst ein anderer Rechtsanwalt aus der Kanzlei erscheinen solle, bevor man den Termin verlegen muss. Aus dieser Grundeinstellung gegenüber dem Verkehrsrecht resultieren so völlig falsche Entscheidungen, wie sie oben genannt sind.
Man darf feststellen, dass an den Gerichten, an denen es zu verkehrsrechtlichen Spezialzuständigkeiten gekommen ist, die Situation dramatisch besser ist als an solchen, an denen das Verkehrsrecht flächendeckend mitbearbeitet wird.
Obwohl in der Frage der Spezialisierung, dies muss man zugestehen, durchaus Bewegung in die Justiz gekommen ist, fehlt es doch nach wie vor an den meisten deutschen Gerichten an Spezialzuständigkeiten für das Verkehrsrecht – noch nicht einmal für den Personenschaden, bei dem es um die Existenz der Partei gehen kann, werden entsprechende Zuständigkeiten eingerichtet. Dabei zeigt sich doch, dass Spezialisierung nicht nur beim Rechtsanwalt, sondern auch beim Richter dazu führt, dass viel effizienter und damit schneller gearbeitet werden kann, die Zahl von Fehlern und damit auch falschen Entscheidungen und unnötigen Berufungen sowie überflüssigen Beweisaufnahmen sinkt. Darüber hinaus zeigt sich, dass gerade auch bei Spezialisierung in den Berufungskammern Leitlinien der Rechtsprechung entstehen, an denen sich alle im jeweiligen Bezirk orientieren können. Anders als bei einer am Gericht zersplitterten Rechtsprechung führt dies auch dazu, Prozesse zu vermeiden. Es sollte daher eigentlich das ureigenste Interesse der Justiz sein, die Spezialisierung deutlich breiter voranzutreiben als dies gegenwärtig geschieht.
Gerade das Verkehrsrecht, in dem es überproportional häufig um Personenschäden mit allen daraus resultierenden Problemen geht, hat es daher verdient, hier mehr in den Fokus zu rücken. Hier kann durchaus jedes Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht und auch alle anderen Kollegen, die im Verkehrsrecht tätig sind, aktiv werden, namentlich durch Ansprache der in den jeweiligen Präsidien tätigen Richter.
Autor: Nicolas Eilers
RA Nicolas Eilers, FA für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht, Groß-Gerau
zfs 4/2018, S. 181