RVG § 15 Abs. 2, Abs. 5 S. 2
Leitsatz
1. Das Verfahren über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil und das vorausgegangene Verfahren sind in gebührenrechtlicher Hinsicht dieselbe Angelegenheit.
2. Ein Rechtsanwalt kann jedenfalls in analoger Anwendung von § 15 Abs. 5 S. 2 RVG erneut Gebühren verlangen, wenn er nach dem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, der mehr als zwei Kalenderjahre nach Zustellung des Urteils eingelegt worden ist, in dem gerichtlichen Verfahren weiter tätig wird.
BGH, Beschl. v. 16.11.2017 – V ZB 152/16
Sachverhalt
Das LG Frankfurt/O. hatte der Klage der Kl. durch Versäumnisurteil vom 2.6.2008 stattgegeben. Den Streitwert hat das LG auf 1.606.763,28 EUR festgesetzt. Dieses im schriftlichen Verfahren ergangene Versäumnisurteil war der Bekl. öffentlich zugestellt worden. Aufgrund der in dem Versäumnisurteil ergangenen Kostenentscheidung hat der Rechtspfleger des LG auf Antrag der Kl. gegen die Bekl. eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG und eine 0,5-Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV RVG nebst Auslagen, insgesamt einen Betrag von 13.831,13 EUR, festgesetzt.
Mit Schriftsatz vom 24.1.2014 hat die Bekl. bei dem LG Frankfurt/O. Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt. Zur Begründung hat sie u.a. geltend gemacht, das Urteil sei ihr nicht wirksam zugestellt worden. Im weiteren Prozessverlauf hat die Bekl. Widerklage erhoben. Durch das am 29.7.2014 verkündete Urteil hat das LG das Versäumnisurteil aufrechterhalten und der Widerklage unter Zurückweisung im Übrigen im Hilfsantrag stattgegeben. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits hat das LG der Bekl. auferlegt. Den Streitwert hat das LG auf 1.670.697,35 EUR festgesetzt. Davon entfallen auf die Klage 1.605.763,28 EUR und auf die Widerklage 64.934,07 EUR.
Auf der Grundlage der Kostenentscheidung in dem vorgenannten Urteil hat die Kl. die Festsetzung weiterer Kosten gegen die Bekl. beantragt, darunter erneut einer 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG und einer 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG nebst Auslagen, insgesamt i.H.v. 20.292,48 EUR. Die Rechtspflegerin hat dem Kostenfestsetzungsantrag in vollem Umfang entsprochen. Mit ihrer hiergegen eingelegten sofortigen Beschwerde hat die Bekl. die Zurückweisung des Kostenfestsetzungsantrags der Kl. in voller Höhe begehrt. Das OLG Brandenburg (RVGreport 2017, 54 [Hansens] = AGS 2017, 68) hat der sofortigen Beschwerde teilweise stattgegeben und nur folgende Kosten zugunsten der Kl. festgesetzt:
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 1.670.697,35 EUR) |
8.379,80 EUR |
2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 1.670.697,35 EUR) |
7.735,20 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
+ 3.065,65 EUR |
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Summe: |
19.200,65 EUR |
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abzgl. im KFB vom 19.1.2009 bereits festgesetzter |
– 13.831,13 EUR |
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Rest: |
5.369,52 EUR |
Die hiergegen von der Kl. eingelegte Rechtsbeschwerde hatte beim BGH überwiegend Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … [4] II. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung u.a. in RVGreport 2017, 54 (Hansens) = AGS 2017,68 veröffentlicht ist, meint, die Prozessbevollmächtigten der Kl. können insgesamt nur eine 1,3 Verfahrens- und nur eine 1,2 Terminsgebühr aus dem Gebührenstreitwert von 1.670.697,35 EUR verlangen. Für die Tätigkeit nach dem Einspruch erhielten sie keine zusätzliche Vergütung nach § 15 Abs. 5 S. 2 RVG. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift sei, dass der Rechtsanwalt neu beauftragt werde, nachdem der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt sei. Daran fehle es. Zwar sei es mit der Zustellung des Versäumnisurteils zu einer Erledigung des Auftrags i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 1 RVG gekommen. Den Rechtsanwälten sei aber kein neuer Auftrag erteilt worden. (…)"
[5] III. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts können die Prozessbevollmächtigten der Kl. für die Tätigkeit nach dem Einspruch der Bekl. gegen das Versäumnisurteil eine erneute 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG und zusätzlich zu der 0,5 Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV RVG die 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG verlangen. Zwar handelt es sich bei dem Verfahren vor und nach dem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil gebührenrechtlich um eine Angelegenheit (§ 15 Abs. 2 RVG). Die Vorschrift des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG ist aber entsprechend anwendbar, sodass erneute Gebühren für die weitere anwaltliche Tätigkeit entstehen.
[6] 1. Rechtsfehlerfrei geht das Beschwerdegericht zunächst davon aus, dass das Verfahren über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil und das vorausgegangene Verfahren in gebührenrechtlicher Hinsicht dieselbe Angelegenheit sind (allg. Ansicht, vgl. OLG Celle RVGreport 2016, 298 [Hansens] = AGS 2016,318; OLG Koblenz AGS 2010, 464; KG RVGreport 2009, 17 [ders.] = AGS 2008, 591; OLG Köln, Beschl. v. 5.11.2008 – 17 W 227/08, juris Rn 12; Hartmann, KostG, 47. Aufl., § 15 RVG Rn 32; Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 22. Aufl., § 15 Rn 85, § 17 Rn 44). Die Regelung des § 38 BRAGO, wonach das Verfahren über den Einspruch...