VVG § 59 § 63
Leitsatz
1. Ein Versicherungsmakler, der einem VN eine an die Stelle bisheriger Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungsverträge tretende andere Absicherung dieser Risiken vermittelt, muss dem Kunden einen nachvollziehbaren und geordneten Überblick über alle wesentlichen leistungs- und beitragsrelevanten Unterschiede verschaffen.
2. Ein Versicherungsmakler hat bei Empfehlung einer Nettopolicenversicherung auf die Gefahren der damit verbundenen Abweichung vom Schicksalsteilungsgrundsatz aufzuklären.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.9.2011 – 12 U 56/11
Sachverhalt
Die Kl. begehrt von den Bekl. Schadensersatz aufgrund falscher Beratung im Rahmen eines "Finanzchecks" sowie bei der Vermittlung von Versicherungen. 2008 führte die Bekl. zu 1 als Fachberaterin der Bekl. zu 2 – einem Finanzdienstleistungsunternehmen und Versicherungsmakler – mit der Kl. in der Wohnung von deren Eltern einen "Finanzcheck" durch. Die 1985 geborene Kl. ist Studentin und hatte zum damaligen Zeitpunkt Einkünfte i.H.v. insgesamt 480 EUR. Auf Empfehlung der Bekl. zu 1 schloss die Kl. eine BU-Versicherung bei der Z sowie eine fondsgebundene Lebensversicherung bei der in Luxemburg ansässigen A mit einer Beitragssumme von 19.481,40 EUR und einer Vertragslaufzeit von 35 Jahren zum 1.5.2008 ab. Dabei handelte es sich um eine so genannte "Nettopolice". Die Kl. unterzeichnete eine vorformulierte "Vergütungsvereinbarung".
Zum Zeitpunkt des Beratungsgesprächs mit der Bekl. zu 1 unterhielt die Kl. seit 2004 bei der A-L eine Rentenversicherung mit BU-Zusatzversicherung. Nach Kündigung dieser Versicherung zum 1.5.2008 erhielt die Kl. einen Rückkaufswert von 121,30 EUR ausgezahlt. Die Kl. hat behauptet, die Bekl. zu 1 habe ihr auf ihren Hinweis, dass sie den Abschluss der im Beratungsprotokoll aufgeführten Versicherungen finanziell nicht "schultern" könne und bereits eine Rentenversicherung mit BU-Vorsorge besitze, geraten, die letztgenannte Versicherung zu kündigen. Die Bekl. zu 1 habe sie nicht darüber aufgeklärt, dass – im Gegensatz zur Rentenversicherung bei der A-L – für die neu abgeschlossene fondsgebundene Lebensversicherung keine steuerlichen Vergünstigungen mehr bestünden. Auch dass dort ausschließlich in Aktien investiert werde, was generell mit einem größeren Risiko bis hin zum Totalverlust verbunden sei, sei nicht erläutert worden. Sie macht weitere Beratungsfehler geltend.
2 Aus den Gründen:
"Der Kl. stehen die geltend gemachten Schadensersatzansprüche aufgrund einer fehlerhaften Beratung (§ 63 VVG, § 249 BGB) auch dem Grunde nach gegenüber den Bekl. zu. …"
2. Zutreffend geht das LG zunächst ferner davon aus, dass die Bekl. zu 2 der Kl. zur Beratung im Zusammenhang mit der Kündigung der bestehenden und dem Abschluss der neuen Versicherungen vertraglich verpflichtet war.
a) An einen Berater wendet sich ein Interessent, wenn er selbst keine ausreichenden Kenntnisse für die Auswahl eines Produkts und keinen genügenden Überblick über die maßgeblichen Zusammenhänge hat. Der Interessent erwartet vom Berater daher nicht nur Informationen über Tatsachen, sondern darüber hinaus insb. deren fachkundige Bewertung und Beurteilung unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse …
b) Bei der Vermittlung von Versicherungen bestehen entsprechende Beratungspflichten insb. für einen Versicherungsmakler (§ 59 Abs. 1 und 3 VVG): Mit Abschluss eines Maklervertrags übernimmt der Versicherungsmakler die Verpflichtung, sich um die Vermittlung des für seinen Kunden günstigsten Versicherungsvertrags zu bemühen. Seine dadurch begründeten Pflichten gehen weit. Ein Versicherungsmakler hat als Vertrauter und Berater des Versicherungsinteressenten individuellen, passenden Versicherungsschutz zu besorgen und untersucht von sich aus das zu versichernde Risiko. Wegen seiner umfassenden Pflichten kann der Versicherungsmakler für den Bereich der Versicherungsverhältnisse des von ihm betreuten Versicherungsinteressenten als dessen treuhänderähnlicher Sachwalter bezeichnet und insoweit mit sonstigen Beratern verglichen werden (vgl. BGH VersR 1985, 930-932). Ein Versicherungsmakler schuldet daher ebenfalls regelmäßig die Ermittlung des Bedarfs, einschließlich eingehender Risikoanalyse, und die Beratung hinsichtlich des abzudeckenden Risikos (vgl. Prölss/Martin/Dörner, VVG, 28. Aufl. 2010, § 59 Rn 51).
c) Gemessen hieran trat die Bekl. zu 2 – vertreten durch die Bekl. zu 1 (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB) – der Kl. gegenüber als Beraterin und Versicherungsmaklerin auf. Bereits der auf der von der Bekl. zu 1 überlassenen Visitenkarte wieder gegebene Slogan der Bekl. zu 2 “Unabhängigkeit ist unsere Stärke, Kapitalanlagen, Altersvorsorge, Immobilien, Immobilienfinanzierungen, Versicherungen' vermittelt den Eindruck, dass eine neutrale Überprüfung verschiedener Möglichkeiten durch die Bekl. zu 2 erfolgt … Die Bekl. zu 1 führte ferner namens der Bekl. zu 2 für die Kl. einen “Finanzcheck' durch, der eine Erhebung der finanziellen Verhältnisse und des Versicherungsbestands der Kl., die Ermittlung ...