OWiG § 74 Abs. 2
Leitsatz
1. Auch der Umstand, dass der Betr. zur Tatzeit Heranwachsender war, ändert nichts daran, dass das AG den Betr. von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen hätte entbinden müssen.
2. Seine Entscheidung über das Entbindungsbegehren des Betr. stand nicht in seinem freien Ermessen.
(Leitsätze des Einsenders)
OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 8.3.2012 – 2 Ss-OWi 181/12
Sachverhalt
Das AG verwarf mit Urt. gem. § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch des Betr. gegen den Bußgeldbescheid, mit dem gegen den Betr. als Führer eines Pkw wegen eines Rotlichtverstoßes eine Geldbuße i.H.v. 200 EUR sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt worden war.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betr. hebt das OLG das Urt. des AG auf und verweist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das AG zurück.
2 Aus den Gründen:
"… . Die fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Betr. hat mit der ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge der Verletzung von §§ 73 Abs. 2, 74 Abs. 2 OWiG – zumindest vorläufig – Erfolg."
Nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betr. von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn dieser seine Fahrereigenschaft eingeräumt und im Übrigen angekündigt hat, sich in der Hauptverhandlung nicht weiter zur Sache zu äußern. Denn dann ist seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich (st. Rspr. des Senats, vgl. u.a. den Beschl. v. 22.1.2009 – 2 Ss-OWi 22/09). Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – über ein Fahrverbot zu entscheiden ist, da der Betr. zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet ist, an einer weiteren Aufklärung der persönlichen Verhältnisse mitzuwirken (vgl. u.a. OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 10.8.2005 – 2 Ss-OWi 152/05).
Unter Berücksichtigung dieser Umstände hätte der Antrag des Betr. auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung vom AG nicht zurückgewiesen werden dürfen. Der Betr. hatte mit Schreiben seines Verteidigers v. 20.9.2011 seine Fahrereigenschaft eingeräumt und erklärt, dass er in der Hauptverhandlung zur Sache keine weiteren Angaben machen werde.
Unter diesen Umständen gab es keinen sachlichen Grund für die Anwesenheit des Betr. in der Hauptverhandlung. Konkrete Anhaltspunkte für eine bei Erscheinen des Betr. noch zu erwartende Sachaufklärung waren vorliegend nicht gegeben. Auch der Umstand, dass der Betr. zur Tatzeit Heranwachsender war, rechtfertigt – ungeachtet dessen, dass § 50 Abs. 1 JGG im Verfahren gegen Heranwachsende keine Anwendung findet – keine andere Beurteilung. Heranwachsende werden im Bußgeldverfahren sanktionsrechtlich wie Erwachsene behandelt (KK-Rengier, OWiG, 3. Aufl., Rn 15 zu § 12 m.w.N.). Bei der Bemessung der gegen einen Heranwachsenden zu verhängenden Geldbuße sind allein die nach § 17 Abs. 3 OWiG maßgebenden Umstände zu berücksichtigen.
Das AG hätte daher dem Entbindungsbegehren des Betr. entsprechen müssen. Seine Entscheidung hierüber stand insoweit nicht in seinem freien Ermessen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 10.8.2005 – 2 Ss-OWi 152/05).
Da das AG den Betr. von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen hätte entbinden müssen, war die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid wegen unentschuldigten Ausbleibens in der Hauptverhandlung rechtsfehlerhaft und das angefochtene Urt. daher aufzuheben und die Sache an das AG zurückzuverweisen. ….“
Mitgeteilt von RA Dr. Ingo E. Fromm, Koblenz