Das für die übrigen Verkehrsteilnehmer geltende Gebot, für das Einsatzfahrzeug freie Bahn zu schaffen (§ 38 Abs. 1 S. 2 StVO), wird durch die Signale blaues Blinklicht und Einsatzhorn des Einsatzfahrzeuges ausgelöst. Die übrigen Verkehrsteilnehmer haben den Vorrang des Einsatzfahrzeuges sofort und unbedingt – ohne Prüfung, ob ein Wegerecht besteht – zu befolgen (vgl. BGH NJW 1975, 648; KG MDR 1997, 1121; OLG Düsseldorf NZV 1992, 489; Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 38 StVO Rn 5).
1. Das Wegerecht ist nur dann rechtswirksam begründet, wenn blaues Blinklicht (§ 52 Abs. 3 StVZO) und Tonsignal des Einsatzhorns (§ 55 Abs. 3 StVZO) zusammengesetzt werden (vgl. KG VersR 2007, 413; KG NZV 2003, 481; OLG Köln NZV 1996, 237; Heß, a.a.O. § 38 Rn 3).
Fährt ein Einsatzfahrzeug allein mit Blaulicht ohne Betätigung des Einsatzhorns in eine durch Rotlicht gesperrte Kreuzung ein, steht dem Fahrer des Einsatzfahrzeuges kein Wegerecht zu. Das hat die Konsequenz, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer nicht nach § 38 Abs. 1 S. 2 dem Einsatzfahrzeug freie Bahn zu schaffen haben (vgl. KG VRS 111, 11). Nur die Auslösung beider Sondersignale macht für die übrigen Verkehrsteilnehmer ausreichend deutlich, dass eine auch sie gefährdende Verkehrssituation bevorsteht. Allerdings ist bei einem hierbei eintretenden Unfall zu beachten, dass Blaulicht ohne zugleich betätigtes Martinshorn die anderen Verkehrsteilnehmer zu gesteigerter Aufmerksamkeit veranlasst (vgl. OLG Frankfurt VerkMitt 1969, 32; KG VRS 111, 11, 12). Bei einem Unfall im Kreuzungsbereich eines Einsatzfahrzeuges ohne betätigte Warnblinkanlage und lediglich aktiviertem Blaulicht wird im Allgemeinen von einer hälftigen Haftungsverteilung auszugehen sein. Zu Lasten des Fahrers des Einsatzfahrzeuges ist zu berücksichtigen, dass er ohne ihm zustehendes Vorrecht bei für ihn geltender Rotphase in die Kreuzung eingefahren ist (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 und 7 StVO), zu Lasten des Unfallgegners, dass er jedenfalls nicht hinreichend aufmerksam auf die – unvollkommene – Ankündigung einer Sonderfahrt reagiert hat (§ 1 Abs. 2 StVO; vgl. auch KG VRS 111, 11, 13). Darlegungs- und beweispflichtig für das Bestehen eines Sonderrechts ist der sich auf das Sonderrecht Berufende (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1992, 489; KG VerkMit 85, 5).
2. Liegt eine Inanspruchnahme von Sonderrechten durch gleichzeitiges Betätigen von Blaulicht und Einsatzhorn vor, hat dies zugunsten des Fahrers des Einsatzfahrzeuges die Wirkung, dass er von den Verkehrsvorschriften befreit wird (vgl. auch BayObLG St 1983, 37, 38; OLG Düsseldorf NZV 2010, 267; KG NZV 2008, 147). Die grds. aus § 35 Abs. 1 StVO folgende Befreiung gilt allerdings nicht schrankenlos. Vielmehr ordnet § 35 Abs. 7 StVO an, dass das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung weiter gilt. Zwar darf der Fahrer des Einsatzfahrzeuges von Verkehrsregeln abweichen, andererseits muss er der erhöhten Unfallgefahr, die er durch das Abweichen herbeiführt, durch besondere Aufmerksamkeit begegnen (vgl. KG NZV 2007, 147). Für den ebenso praxiswichtigen wie gefährlichen Vorgang einer Überquerung der Kreuzung bei Rotlicht durch ein Einsatzfahrzeug hat § 35 Abs. 8 StVO zur Folge, dass die Kreuzung durch das Einsatzfahrzeug nur dann überquert werden darf, wenn der Fahrer des Einsatzfahrzeuges den Umständen nach annehmen darf, dass alle im Kreuzungsbereich befindlichen Verkehrsteilnehmer die Signale wahrgenommen haben; ansonsten darf er nur mit Schrittgeschwindigkeit in die Kreuzung einfahren (vgl. KG NZV 1992, 456; OLG Hamburg VersR 1997, 1547; Heß, a.a.O. § 35 StVO Rn 149).
3. Für die übrigen Verkehrsteilnehmer ordnet § 38 Abs. 2 StVO bei Setzen des blauen Blinklichtes und Betätigung des Einsatzhorns an, dass sie sofort freie Bahn zu schaffen haben. In erster Linie wird der Verkehrsteilnehmer rechts heranfahren und so lange anhalten müssen, bis eine Störung des Fahrwegs des Einsatzfahrzeuges ausgeschlossen ist (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1988, 813; OLG Hamburg zfs 1999, 55; OLG Hamm MDR 2009, 1338).
Ausgelöst wird die Verpflichtung der übrigen Verkehrsteilnehmer erst dann, wenn Blaulicht und Martinshorn wahrgenommen worden sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit wahrgenommen werden konnten (vgl. BGH NJW 1975, 648; KG VersR 1976, 193; KG MDR 1997, 1121). Dabei darf der Fahrer des Einsatzwagens auf die Beachtung seines Vorrechts in der Weise vertrauen, dass Fahrzeuge in der Nähe (50 Meter) die Zeichen wahrnehmen (vgl. BGH NJW 1959, 339; zustimmend KG MDR 1997, 1121).
Der Fahrer des Einsatzfahrzeuges muss den übrigen Verkehrsteilnehmern die kurz zu bemessende Zeit geben, auf die Zeichen nach § 38 Abs. 1 StVO zu reagieren und ihm freie Bahn zu schaffen (vgl. KG VerkMitt 1981, 95; KG MDR 1997, 1121). Die Möglichkeit des Einsatzes eines Fahrzeuges mit Sonderrechten begründet gleichzeitig die Verpflichtung der übrigen Verkehrsteilnehmer, Sorge dafür zu tragen, dass sie das Martinshorn hören können (vgl. KG NZV 1992, 456,...