I. Allgemeines
Der italienische BGH erkennt die Ansprüche naher Angehöriger von Unfallopfern nicht als mittelbar Geschädigte an, sondern als direkte Opfer. Man unterscheidet zwischen den Direktgeschädigten, welche in deren Gut des Lebens oder der Gesundheit beeinträchtigt worden sind und den Angehörigen, welche auch direkt und in einem eigenen persönlichen Interesse verletzt bzw. beeinträchtigt wurden. Die nahen Angehörigen von Unfallopfern werden somit als unmittelbar Geschädigte betrachtet, zumal sie eine eigene Rechtsgutverletzung erleiden. Der Anspruch rechtfertigt sich nicht unbedingt wegen der Trauer und des Schmerzes, der sich bei den Angehörigen einstellt, sondern einerseits aufgrund des Familienbandes, welches durchbrochen wird, und anderseits wegen der engen Verknüpfung bzw. Verzahnung des Prinzips des neminem laedere (Art. 2043 ital. ZGB – Schadensersatz wegen einer unerlaubten Handlung: Jedwede vorsätzliche oder fahrlässige Handlung, die einem anderen einen rechtswidrigen Schaden zufügt, verpflichtet denjenigen, der sie begangen hat, den Schaden zu ersetzen) und der in der italienischen Verfassung verwurzelten Schutzgüter wie das Leben, die Gesundheit, die Familie, die uneingeschränkte Lebensführung usw.
II. Ansprüche der Angehörigen
Die Angehörigen können somit iure proprio und iure hereditatis Ansprüche über folgende Schadenspositionen geltend machen.
1. Materielle Schäden
Bestattungskosten sowie alle anderen materiellen Schäden (Fahrzeug usw.) sind erstattungspflichtig.
2. Schadensersatzanspruch (iure proprio)
Entschädigt wird hier das von der italienischen Verfassung geschützte Rechtsgut des Familienbandes, welches durch das schädigende Ereignis zerstört wird. Dabei stehen je nachdem, welche Tabellen das örtlich zuständige Landesgericht anwendet, den Eltern, Kindern, getrennten und auch geschiedenen Ehepartnern sowie Lebensgefährten, welche mit dem Opfer auf der Basis von faktischen Unterhaltsbeziehungen zusammenlebten (more uxorio) Ansprüche in der Höhe von 154.000 bis 304.000 EUR pro Person zu, während die Großeltern und Geschwister Ansprüche in der Höhe von 30.000 bis 120.000 EUR geltend machen können. Diese Ansprüche können von den Angehörigen ohne Nachweis einer krankheitswertigen Beeinträchtigung geltend gemacht werden.
3. Biologischer Schaden (iure proprio)
Zuzüglich zum biologischen Schaden können bei krankhafter psychischer Beeinträchtigung der Hinterbliebenen personalisierte Schadenspositionen geltend gemacht werden. Voraussetzung ist, dass die Einstellung eines posttraumatischen Belastungssyndroms oder einer eventuellen depressiven Episode mittels psychologischem oder psychiatrischem Gutachten und vor allem auch Zeugen nachgewiesen wird. Je nach Schwere der krankhaften psychischen Beeinträchtigung kann u.U. ein weiterer Schadensersatz von einigen hunderttausend Euro zusätzlich zuerkannt werden. Man verwendet dabei eine Tabelle, die von der modernen Psychiatrie erarbeitet worden ist, bei der sich durch eine depressive Störung eine psychische Beeinträchtigung in einem Ausmaß von 31 bis 75 % einstellen kann.
Ich möchte somit an dieser Stelle die Aufstellung der Schadensersatzansprüche sämtlicher Familienangehörigen aus einem sicherlich nicht alltäglichen Fall unserer Kanzlei wiedergeben, bei dem durch einen Unfall ein naher Angehöriger unserer Mandanten zu Tode gekommen ist (der Bruder des Opfers befand sich mit diesem im selben Fahrzeug und die Eltern sind an die Unfallstelle gerufen worden und haben den tödlich verletzten Sohn dort vorgefunden).
Mutter:
Ableben des Sohnes laut Tabelle |
250.000 EUR |
biologischer Schaden 65 % |
514.000 EUR |
Personalisierung des Schadens |
205.000 EUR |
Insgesamt |
790.000 EUR |
Vater:
Ableben des Sohnes laut Tabelle |
250.000 EUR |
biologischer Schaden 50 % |
317.000 EUR |
Personalisierung des Schadens |
127.000 EUR |
Insgesamt |
694.000 EUR |
Bruder:
Ableben des Bruders laut Tabelle |
100.000 EUR |
biologischer Schaden 30 % |
159.000 EUR |
Personalisierung des Schadens |
63.000 EUR |
Insgesamt |
322.000 EUR |
4. Übergang von Ansprüchen auf die Hinterbliebenen des Unfallopfers
a) Personenschaden
Ansprüche aus dem sog. Personenschaden des Verstorbenen können unter dem Rechtstitel des iure hereditatis auf die Angehörigen übergehen, sofern der Geschädigte nach einem bestimmten Zeitraum (von ca. 3 Tagen) nach dem Unfall verstirbt. Entschädigt wird hier die Situation des Opfers, welches sich nach dem Unfall aufgrund der Schwere der Verletzungen sofort bewusst wird, dass es den Verletzungsfolgen erliegen wird. Dieser Anspruch steht aber nur dann zu, wenn das Opfer nach dem Unfall bei Bewusstsein geblieben ist (LG Mailand: 15.000 EUR).
Andererseits wird der "Personenschaden" des Verstorbenen entschädigt, auch wenn er nach dem Unfall das Bewusstsein verloren hat, sofern man annehmen kann, dass er sich der nahenden "Katastrophe" bewusst geworden ist (z.B. Zeitraum zwischen Verlust der Kontrolle des Fahrzeuges bis zum Aufprall; sog. "danno catastrofico").
b) Tagegeld
Des Weiteren entsteht ein Anspruch auf Tagegeld in Höhe von bis zu 132 EUR pro Tag und zwar für den Zeitraum ab Unfalldatum bis zum Ableben.
c) Weiterer materieller Anspruch
Ein weiterer materieller Anspruch von etwa ca. 25.000 EUR pro Elternteil entsteht, wenn man davon ausgeht, dass das Kind die Eltern m...