Bezüglich der Größenordnung des Ersatzanspruches erscheint mir ein vom Gesetzgeber fixierter Betrag als nicht besonders geeignet, zumal man schon den Umständen des konkreten Falles Rechnung tragen soll.
In Italien hat sich die Heranziehung von Tabellen mit Mindest- und Höchstsätzen, die jährlich der Inflation angepasst werden, als äußerst positiv herausgestellt. Dem vorhersehbaren Einwand der angeblich fehlenden Rechtssicherheit kann man schon jetzt entgegnen, dass den Instanzgerichten schon so viel Sachkenntnis und Fingerspitzengefühl zugestanden werden muss, für den konkreten Fall einen angemessenen Betrag festzusetzen.
Ungenügend und auch unangemessen erscheint mir, dass ungefähr nur ein Betrag von einigen wenigen zehntausend Euro in Frage kommen soll, denn auch hier handelt es sich um einen praxisfernen Vorschlag, da entstandenes und entstehendes Leid durch derartige Summen nicht abgemildert werden kann.
Der Verfasser dieses Aufsatzes hat in seiner dreißigjährigen Berufserfahrung mindestens ebenso viele Schadensfälle von nahen Angehörigen von Unfallopfern abgewickelt und all diese Personen könnten sicherlich nur schwer nachvollziehen, dass ihnen nach dem Ableben eines Sohnes ein Schadensersatzbetrag zugesprochen wird, welcher unter dem Kaufpreis eines Kleinwagens liegen sollte, den sie womöglich ein paar Wochen vorher gekauft haben. Somit sollte ein Mindestbetrag von 100.000 EUR allemal vorgesehen werden, andernfalls sollte man die Einführung eines Schmerzensgeldes für nahe Angehörige von Unfallopfern besser sein lassen.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass gerade der Fall der italienischen Studentin Giulia, welche anlässlich der Love Parade in Duisburg zu Tode gekommen ist, in Italien für große Aufregung und Unverständnis gesorgt hat, da eine deutsche Haftpflichtversicherung der Mutter als Schadensersatz einen Betrag von 2.000 EUR (!!!!) angeboten hat.
Dieser Fall fand in sämtlichen italienischen Medien große Beachtung und in der öffentlichen Meinung wurde nach italienischem Verständnis – bei dem die familiäre Bindung, wie in allen südlichen Ländern, wahrscheinlich eine engere ist als in Mittel- und Nordeuropa – die Mutter des Opfers durch das oben genannte Angebot, zuzüglich zu ihrem Schmerz und der Trauer, auch noch verhöhnt. Wenn in Deutschland in solchen Fällen schon kein Schadensersatz geleistet wird, dann hätte man nach Auffassung der Mutter bzw. der Medien überhaupt davon Abstand nehmen sollen, ein nach italienischem Verständnis so lächerliches Angebot überhaupt zu unterbreiten. Ein Journalist meinte sogar, man hätte den angebotenen Betrag besser an die Bedürftigen nach Kap Hoorn schicken sollen.
Die Diskussion über möglichen Missbrauch usw. sollte man meiner Auffassung nach somit fallen lassen, zumal andernfalls im Ausland der Eindruck erweckt wird, dass das Rechtsgut des Eigentums (sprich Auto = heilige Kuh) in Deutschland einen besonderen Schutz erfährt, während die vom Grundgesetz geschützten Rechtsgüter wie das Leben, die Gesundheit, die Familie usw., die allemal doch einen höheren Stellenwert haben sollten, im deutschem Schadensrecht bzw. in der Gesellschaft nicht in gebührender Weise Beachtung finden und entsprechend geschützt werden. Es kann schwer bestritten werden, dass in Italien, viel mehr als in Deutschland, in der Gesellschaft ein ausgeprägteres Verständnis für bestimmte Schutzgüter vorhanden ist.
Wir wissen um das kontinuierlich wechselseitige Zusammenspiel von Gesellschaft und Rechtsordnung und nur jene Grundwerte und Schutzgüter, die in der jeweiligen Gesellschaft anerkannt sind, können in den Rechtsetzungsprozess eingehen, können als Recht ausgeformt werden. Ich bin der vollen Überzeugung, dass wir Juristen quasi einen Öffentlichkeitsauftrag haben und für die Vermittlung und Lebendighaltung von Grundwerten einstehen und in der Gesellschaft das Bewusstsein für die Wertigkeit von Schutzgütern stärken sollten.
Die im deutschen Zivilrecht bestehende Beschränkung der Ansprüche naher Angehöriger von Unfallopfern für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen jeglicher Art dürfte nach meinem Dafürhalten somit nicht mehr ganz zeitgemäß sein und stößt zumindest in Italien (und vielleicht auch in anderen europäischen Nachbarstaaten) auf kein großes Verständnis.
Es sollte folglich vom deutschen Gesetzgeber eine Bestimmung erlassen werden, bei der aufgrund einer verstärkten Verzahnung dieser Bestimmung mit den im Grundgesetz verankerten (und oben angeführten) Grundwerten ein ausgeprägterer Rechtschutz für die Ansprüche naher Angehöriger von Unfallopfern geschaffen werden kann. Im Gegenzug müssten aber Möglichkeiten der Anspruchstellung bei reinen Sachschäden (und im Besonderen bezüglich reiner Folgekosten, wie Nutzungsausfall, Wertminderung, Gutachterkosten usw.) allemal unbedingt beschränkt werden, um die Versicherungswirtschaft nicht übermäßig zu belasten.
Die Rechtsordnung ist kein Zustand, sondern ein Prozess und es geht ja um die Festigung bzw. verstärkte Einbindung von Grundwert...