Die Ansprüche naher Angehöriger von Unfallopfern im italienischen Schadensrecht
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Darstellung der umfangreichen Anspruchsmöglichkeiten Angehöriger von Unfallopfern im italienischen Schadensrecht. In Italien haben die von der Verfassung geschützten Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und vor allem Familie eine sehr große Bedeutung und werden bei Beeinträchtigung in gebührender Weise ersetzt. Kritische Anregungen bzw. Empfehlungen zum deutschen Schadensrecht mit einer abschließenden Anmerkung von Frau Dr. Gerda Müller, Vizepräsidentin des BGH a.D.
A. Einleitende Bemerkungen zum Personen- schaden im Allgemeinen und dem sog. "danno biologico" im Besonderen
In Italien haben verschiedene Arten von Schadensersatzansprüchen, die sich auf die von der Verfassung geschützten Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Familienband, Recht auf Ausübung einer uneingeschränkten Lebensführung, Bildung usw. beziehen, große Tradition. Sofern diese durch ein schädigendes Ereignis beeinträchtigt bzw. zerstört werden, können die Geschädigten allemal Ansprüche stellen. Diese Güter bzw. Werte, die zu den allerhöchsten gehören, sollen nach italienischem Verständnis besonders geschützt werden, und zwar nicht nur durch irgendwelche abstrakten Bestimmungen. Sondern vor allem wenn sie beeinträchtigt werden, soll der entstandene Schaden auch in gebührender Weise ersetzt werden.
Mit Urteil der Vereinten Senate des italienischen BGH Nr. 26972 vom 11.11.2008 ist die Schadensposition des Schmerzensgeldes de facto abgeschafft worden.
Man unterscheidet somit nur mehr zwischen dem danno patrimoniale (Sachschaden) und dem danno non patrimoniale (Personenschaden), wobei somit der Schmerzensgeldanspruch nicht mehr als eine eigenständige Schadensposition des Personenschadens zu betrachten ist. Mit diesem Begriff wird heute lediglich die subjektive Schmerzsituation beschrieben, die aufgrund eines schädigenden Ereignisses entstehen kann.
Die italienische Rechtsprechung hat im Rahmen des Personenschadens die Schadensposition des sog. danno biologico (sinngemäß mit "biologischer Schaden" übersetzbar) erarbeitet. Dem Geschädigten wird wegen einer Beeinträchtigung des verfassungsmäßig geschützten Rechtsgutes der Gesundheit ein Schadenersatz zugesprochen, der aufgrund einer Gliedertaxe die Beeinträchtigung bestimmt wird. Es gibt dann eine Unmenge von Tabellen, bei denen je nach Alter des Geschädigten und nach Grad der bleibenden Invalidität ein Schadensersatz zuerkannt wird.
Sollte im Laufe des Verfahrens nachgewiesen werden können, dass der Geschädigte aufgrund der Vexrletzungen in seiner Lebensführung (Ausübung von Hobbys, sonstiger Freizeitaktivitäten) eingeschränkt ist, kann das Gericht ihm mittels der Schadensposition der personalizzazione del danno ("Personalisierung des Schadens") im Wege der Billigkeit noch einmal zusätzlich zur Entschädigung für den bleibenden Körperschaden einen weiteren Betrag zusprechen, der 10 bis 40 % der ursprünglichen Summe entspricht.
B. Besondere Aspekte bei Unfällen mit Todesfolge
I. Allgemeines
Der italienische BGH erkennt die Ansprüche naher Angehöriger von Unfallopfern nicht als mittelbar Geschädigte an, sondern als direkte Opfer. Man unterscheidet zwischen den Direktgeschädigten, welche in deren Gut des Lebens oder der Gesundheit beeinträchtigt worden sind und den Angehörigen, welche auch direkt und in einem eigenen persönlichen Interesse verletzt bzw. beeinträchtigt wurden. Die nahen Angehörigen von Unfallopfern werden somit als unmittelbar Geschädigte betrachtet, zumal sie eine eigene Rechtsgutverletzung erleiden. Der Anspruch rechtfertigt sich nicht unbedingt wegen der Trauer und des Schmerzes, der sich bei den Angehörigen einstellt, sondern einerseits aufgrund des Familienbandes, welches durchbrochen wird, und anderseits wegen der engen Verknüpfung bzw. Verzahnung des Prinzips des neminem laedere (Art. 2043 ital. ZGB – Schadensersatz wegen einer unerlaubten Handlung: Jedwede vorsätzliche oder fahrlässige Handlung, die einem anderen einen rechtswidrigen Schaden zufügt, verpflichtet denjenigen, der sie begangen hat, den Schaden zu ersetzen) und der in der italienischen Verfassung verwurzelten Schutzgüter wie das Leben, die Gesundheit, die Familie, die uneingeschränkte Lebensführung usw.
II. Ansprüche der Angehörigen
Die Angehörigen können somit iure proprio und iure hereditatis Ansprüche über folgende Schadenspositionen geltend machen.
1. Materielle Schäden
Bestattungskosten sowie alle anderen materiellen Schäden (Fahrzeug usw.) sind erstattungspflichtig.
2. Schadensersatzanspruch (iure proprio)
Entschädigt wird hier das von der italienischen Verfassung geschützte Rechtsgut des Familienbandes, welches durch das schädigende Ereignis zerstört wird. Dabei stehen je nachdem, welche Tabellen das örtlich zuständige Landesgericht anwendet, den Eltern, Kindern, getrennten und auch geschiedenen Ehepartnern sowie Lebensgefährten, welche mit dem Opfer auf der Basis von faktischen Unterhaltsbeziehungen zusammenlebten (more uxorio) Ansprüche in der Höhe von 154.000 bis 304.000 EUR pro Person zu, während die Großeltern und Geschwister Ansprüche in der Höhe von 30.000 bis 120.000 EUR geltend ...