Die Entscheidung des LG beinhaltet zwei interessante Aspekte:
Zum einen hat auch die Berufungsinstanz es für unbeachtlich gehalten, dass der klagende VR bei seiner Deckungsschutzversagung fälschlicherweise auf das für den VN günstigere VVG 2008 Bezug genommen hat. Das LG hat sich nicht der Auffassung der Bekl. angeschlossen, dass durch eine fehlerhafte Bezugnahme auf für den VN günstigere Vorschriften der den Deckungsschutz versagende VR ebenso einen Vertrauenstatbestand schafft, als hätte er eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung veranlasst. Die Auffassung ist nicht unproblematisch. Mit der Einführung des VVG 2008 war namentlich ein verbesserter Schutz der Verbraucher intendiert. Nach § 28 Abs. 3 S. 1 VVG besteht volle Leistungspflicht des VR, soweit die Obliegenheitsverletzung des VN weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich ist. Das Kausalitätserfordernis gilt nicht nur bei grober Fahrlässigkeit, sondern selbst bei Vorsatz des VN. Nach § 28 Abs. 3 S. 2 VVG gilt die Regelung des Satzes 1 nur nicht bei Arglist des VN. Im vorliegenden Fall aber stand fest, dass die Beteiligung der Bekl. an dem Vorfall ausschließlich über die am Fahrzeug hinterlassene Benachrichtigung ermöglicht worden ist. Insofern war aber der Kl. infolge einer möglichen Obliegenheitsverletzung der Bekl. überhaupt kein konkreter Nachteil entstanden.
Der zweite – weitaus wichtigere – Aspekt der Entscheidung des LG ist derjenige, dass die Grundsätze der sog. Relevanzrechtsprechung zum VVG a.F. auch vor § 142 StGB nicht Halt machen. Nach der Relevanzrechtsprechung tritt Leistungsfreiheit des VR nur dann ein, wenn zum einen der Verstoß generell geeignet war, die Interessen des VR ernsthaft zu gefährden und zusätzlich dem VN ein erhebliches Verschulden zur Last fällt. Für die Leistungsfreiheit müssen also beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Eine folgenlose Obliegenheitsverletzung liegt demnach dann vor, wenn sie sich weder nachteilig auf die Feststellungen des Versicherungsfalles noch auf die Feststellungen oder den Umfang der Leistung des VR ausgewirkt hat.
Kein erhebliches, sondern nur ein geringes Verschulden des VN mit der Folge der Leistungspflicht des VR ist nach der zitierten Rspr. dann gegeben, wenn es nach den Umständen um ein Fehlverhalten geht, dass auch einem ordentlichen VN leicht unterlaufen kann und für das deshalb ein einsichtiger VR Verständnis aufzubringen vermag.
In diesem Zusammenhang hat das LG klargestellt, dass die Auffassung, der BGH schließe die Relevanzrechtsprechung für Verstöße gegen § 142 StGB per se aus, falsch ist. Stets sind auch hier die Umstände des Einzelfalles maßgebend. Wenn weitere Feststellungen als diejenigen, die der VN kundtut, auch von Polizeibeamten am Unfallort nicht hätten getroffen werden können, spricht dies richtigerweise gegen eine Obliegenheitsverletzung des VN.
RA und FA für Verkehrs- und für Versicherungsrecht
Stefan Bachmor, Hamburg