StPO § 406
Leitsatz
Eine im Adhäsionsverfahren auf Antrag des Verletzten (Geschädigten) gegen den Beschuldigten (Schädiger) ergehende Entscheidung entfaltet weder Rechtskraft gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Schädigers noch bindet es das in einem Folgeprozess zur Entscheidung berufene Gericht.
BGH, Urt. v. 18.12.2012 – VI ZR 55/12
Sachverhalt
Der Kl. kam zu Fall, als er nach einer Auseinandersetzung mit dem Bekl. zu 2) von diesem als Fahrer eines bei der Bekl. zu 1) haftpflichtversicherten Pkw angefahren wurde. Der Kl. erlitte eine Distorsion des rechten oberen Sprunggelenks und des rechten Kniegelenks sowie eine Zerrung des inneren Seitenbandes des rechten Fußes. Im Rahmen des Strafverfahrens gegen den Bekl. zu 2) wegen gefährlicher Körperverletzung beantragte der Kl. im Wege des Adhäsionsverfahrens, den Bekl. zu 2) zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von mindestens 2.000 EUR sowie zum Ersatz des aus dem Schadensereignis herrührenden materiellen Schadens, des Haushaltsführungsschadens und zum Ersatz der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu verurteilen. Der Bekl. zu 2) wurde durch rechtskräftiges Urteil wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 25 EUR verurteilt. Den Schadensersatzanspruch des Kl. erklärte das Strafgericht wegen fahrlässiger Körperverletzung dem Grunde nach für gerechtfertigt. Die im Adhäsionsverfahren geltend gemachten Ansprüche sind Gegenstand des Revisionsverfahrens. Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben und den Bekl. unter Abweisung der weitergehenden Klage als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 1.500 EUR und zum teilweisen Ersatz der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt. Der Kl. und die Bekl. zu 1), diese zugleich als Nebenintervenienten auf Seiten des Bekl. zu 2) haben dagegen Berufung eingelegt. Das LG hat mit dem angefochtenen Urteil die Verurteilung des Bekl. zu 2) auf ein zu zahlendes Schmerzensgeld von 1.000 EUR sowie unter teilweise niedriger Festsetzung der zu erstattender Rechtsanwaltskosten die Klage im Übrigen abgewiesen.
Das LG hat die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, inwieweit die in einem Adhäsionsverfahren ergangene Entscheidung Bindungswirkung für den nachfolgenden Schadensersatzanspruch gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers entfaltet. Das BG verneinte eine Haftung der Bekl. zu 1) mit der Begründung, der Haftpflichtversicherer sei von seiner Leistungspflicht befreit, da der Bekl. zu 2) die Körperverletzung vorsätzlich begangen habe. Das im Strafverfahren ergangene Grundurteil entfalte keine Bindungswirkung zu Lasten der Bekl. zu 1). Wer wie der Bekl. zu 2) mehrfach mit einem Pkw auf eine vor seinem Fahrzeug stehende Person zufahre, nimmt eine mögliche körperliche Verletzung seines Opfers billigend in Kauf und handelt damit zumindest mit bedingtem Vorsatz. Der BGH billigte die Entscheidung des LG.
2 Aus den Gründen:
[7] "… Zutreffend nimmt das BG an, dass aufgrund des im Adhäsionsverfahren ergangenen Urteils im Verhältnis zwischen dem Kl. und dem Bekl. zu 2) dessen Haftung dem Grunde nach rechtskräftig festgestellt ist, dieses Urteil jedoch keine Bindung hinsichtlich der Bekl. zu 1) entfaltet.
[8] a) Die in einem Strafverfahren ergangene Entscheidung über den Antrag des Verletzten auf Ersatz des aus einer Straftat des Beschuldigten erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs (§§ 403 f. StPO) steht gem. § 406 Abs. 3 S. 1 StPO einem im bürgerlichen Rechtsstreit ergangenen Urteil gleich. Gem. § 406 Abs. 1 S. 2 StPO kann sich die Entscheidung des Strafgerichts auf den Grund des geltend gemachten Anspruchs beschränken (vgl. BGH, Beschl. v. 21.8.2002 – 5 StR 291/02, BGHSt 47, 378). Macht das Gericht von dieser Möglichkeit Gebrauch, gilt § 318 ZPO entsprechend. Das bedeutet, dass das im nachfolgenden Betragsverfahren zur Entscheidung berufene Zivilgericht (§ 406 Abs. 3 S. 4 StPO) an die im Adhäsionsverfahren getroffene Entscheidung gebunden ist (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 406 Rn 3; Musielak/Musielak, ZPO, 9. Aufl. § 318 Rn 4; Löwe/Rosenberg/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 406 Rn 12; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 304 Rn 76).
[9] b) Der Umfang der Bindungswirkung eines Grundurteils richtet sich danach, worüber das Gericht wirklich entschieden hat. Dies ist durch Auslegung von Urteilsformel und Entscheidungsgründen zu ermitteln (BGH, Urt. v. 14.4.1987 – IX ZR 149/86, VersR 1987, 939, 940 und v. 14.6.2002 – V ZR 79/01, NJW 2002, 3478, 3479, jeweils m.w.N.; MüKo-ZPO/Musielak, 3. Aufl., § 304 Rn 12).
[10] c) Ob die Bindungswirkung im vorliegenden Fall, wie das BG annimmt, die Verneinung eines Mitverschuldens (§ 254 BGB) erfasst, kann offen bleiben (vgl. dazu OLG Karlsruhe MDR 2011, 979). Ebenso ist nicht zu entscheiden, ob die vom Strafgericht hier bejahte fahrlässige Begehungsweise mit bindender Wirkung für das Betragsverfahren gegenüber dem Bekl. zu 2) festgestellt worden ist. Die Bindung, die ein Grundurteil nach § 318 ZPO entfaltet, ist jedenfalls – ebenso wie die Wirkung der materiellen Rechtskraft (