VVG § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Leitsatz
Macht der VN einer privaten Krankenversicherung von seinem Recht Gebrauch, innerhalb eines bestehenden Versicherungsverhältnisses von dem bisherigen Tarif ("Herkunftstarif") mit einem absoluten jährlichen Selbstbehalt in einen neuen Tarif ("Zieltarif") mit behandlungsbezogenem Selbstbehalt zu wechseln, kann der VR gem. § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Hs. 2 VVG einen Leistungsausschluss nur verlangen, soweit der behandlungsbezogene Selbstbehalt den absoluten Selbstbehalt nicht ausschöpft. Der kumulative Ansatz sowohl des absoluten als auch des behandlungsbezogenen Selbstbehalts ist unzulässig.
BGH, Urt. v. 2.9.2012 – IV ZR 28/12
Sachverhalt
Der Kl. begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit eines Leistungsausschlusses im Rahmen eines Krankenversicherungsvertrags. Er unterhielt bei der Bekl. zunächst einen privaten Krankenversicherungsvertrag, der unter anderem für den Tarif "SB 2300" einen jährlichen Selbstbehalt von 2.300 EUR für ambulante Leistungen vorsah. Der monatliche Gesamtbeitrag für den Krankenversicherungsvertrag lag zuletzt bei 349,51 EUR. Am 25.3.2009 beantragte der Kl. einen Wechsel in den Tarif "ECONOMY" der Bekl. Dieser sieht einen monatlichen Gesamtbeitrag von 163,92 EUR und verschiedene behandlungsbezogene Selbstbehalte, im Wesentlichen 10 EUR je Behandlungstag und Behandler, Arznei- und Verbandmittel bzw. sonstiger Leistungsinanspruchnahme vor. Dem Antrag war eine vom Kl. unter dem 25.4.2009 unterzeichnete "Erklärung zum Umtarifierungsantrag in den Tarif ECONOMY" beigefügt, in der es unter anderem heißt:
"Bei einem Wechsel in andere Tarife kann der VR einen Leistungsausschluss für Mehrleistungen verlangen, soweit die Leistungen in dem Tarif, in den der VN wechseln will, höher oder umfassender sind als in dem bisherigen Tarif (vgl. § 178 f. VVG, § 204 VVG neu). Der Wegfall einer Selbstbeteiligung stellt eine solche Mehrleistung dar.
Ich bin damit einverstanden, dass für J H bei der Umtarifierung in den Tarif ECONOMY ein Leistungsausschluss i.H.v. 2.300 EUR pro Kalenderjahr (dies entspricht der absoluten jährlichen Selbstbeteiligung des bisherigen Tarifs SB 2300) besteht.
Mir ist bekannt, dass dieser Leistungsausschluss pro Kalenderjahr gilt und weiterhin bei den Leistungsposition(en), für die die bisherige absolute jährliche Selbstbeteiligung galt, angerechnet wird.
Die tarifliche Erstattung des Tarifs ECONOMY wird um den betragsmäßigen Leistungsausschluss pro Kalenderjahr und pro Person gekürzt. … “
Der Kl. unterschrieb diese Erklärung mit dem Zusatz "Akzeptiert unter dem Vorbehalt der Rechtmäßigkeit des doppelten Ansatzes eines Selbstbehaltes".
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[5] "… I. Das BG meint, die Bekl. sei berechtigt, im Rahmen des Tarifwechsels den absoluten Selbstbehalt aus dem bisherigen Tarif als Leistungsausschluss in den Zieltarif zu übernehmen. Der Wegfall eines absoluten Selbstbehalts stelle eine Mehrleistung i.S.v. § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG dar, weil die Verpflichtung des VR zur Erstattung von Leistungen erweitert werde. Hierbei sei ein genereller Leistungsausschluss und nicht wie es der Auffassung des AG entsprochen hat nur ein Leistungsausschluss für bestimmte Krankheiten zulässig. …"
[6] II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwischen den Parteien ist im Rahmen des Tarifs “ECONOMY’ kein Leistungsausschluss i.H.v. 2.300 EUR wirksam vereinbart worden.
[7] 1. Dem Kl. steht gegen die Bekl. ein Anspruch auf Tarifwechsel gem. § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Hs 1 VVG zu. Hiernach kann der VN bei einem bestehenden unbefristeten Versicherungsverhältnis vom VR verlangen, dass dieser Anträge auf Wechsel in andere Tarife mit gleichartigem Versicherungsschutz unter Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte und der Alterungsrückstellung annimmt. Mit diesem Tarifwechselrecht wird bezweckt, insb. älteren VN bei Schließung ihres Tarifs (“Herkunftstarif’) die Möglichkeit zu eröffnen, eingetretene Kostensteigerungen durch einen Wechsel in einen anderen Tarif des VR (“Zieltarif’) zu vermeiden (BVerwG VersR 2010, 1345 Rn 27; LG Hildesheim VersR 2010, 753, 754; MüKo-VVG/Boetius, § 204 Rn 7, 16 … ). Dieser Tarifwechselanspruch ist ein Optionsrecht des VN im Rahmen des den VR treffenden Kontrahierungszwangs auf Inhaltsänderung des bestehenden Krankenversicherungsvertrags (BVerwG a.a.O. Rn 30; MüKo-VVG/Boetius, a.a.O. Rn 13; Wandt, a.a.O. Rn 1357). Die Voraussetzungen dieses Tarifwechselanspruchs sind gegeben. Insb. liegt ein gleichartiger Versicherungsschutz i.S.v. § 12 der “Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Alterungsrückstellung in der privaten Krankenversicherung’ (KalV) vor, da der Kl. bei der Bekl. sowohl im Herkunfts- als auch im Zieltarif Krankenversicherungsschutz für ambulante und stationäre Behandlung sowie für Zahnbehandlung und Zahnersatz erhält. Auf dieselbe Höhe der Prämie kommt es für die Gleichartigkeit demgegenüber nicht an (BVerwG VersR 2007, 1253 unter 2b aa).
[8] 2. Besteht ein Anspruch des VN auf einen T...