BGB § 826
Leitsatz
Die Bundesagentur für Arbeit muss bei einem Schadenersatzanspruch aus § 826 BGB wegen verspäteter Insolvenzantragstellung darlegen und beweisen, dass eine rechtzeitige Antragstellung dazu geführt hätte, dass Insolvenzgeld nicht oder in geringerem Umfang hätte gezahlt werden müssen.
OLG Stuttgart, Urt. v. 12.6.2012 – 12 U 2/12
Sachverhalt
Die Bundesagentur für Arbeit nimmt die Bekl. als Geschäftsführer einer in Insolvenz gefallenen GmbH wegen verspäteter Insolvenzantragstellung auf Ersatz von ihr geleisteten Insolvenzgeldes aus unerlaubter Handlung in Anspruch. Das LG hat der Klage stattgegeben, die Bekl. zur Zahlung von 36.759,62 EUR Schadensersatz verurteilt und festgestellt, dass die Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung resultiere. Die von den Bekl. geführte RR GmbH sei spätestens zum 31.12.1999 überschuldet gewesen. Die Bekl. hätten dies gewusst und seien nach § 64 GmbHG a.F. verpflichtet gewesen, rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen. Dies unterlassen zu haben sei sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB. Der Kl. sei ein Schaden in Höhe des gezahlten Insolvenzgeldes entstanden. Dieser beruhe auf dem sittenwidrigen Handeln der Bekl. Hätten diese im Januar 2000 Insolvenzantrag gestellt, wäre es nicht zu den konkreten Insolvenzgeldzahlungen für Zeiträume ab Dezember 2003 gekommen.
Die Berufung der Bekl. hatte Erfolg
2 Aus den Gründen:
"Die zulässige Berufung der Bekl. hat Erfolg. Die Kl. hat keinen Anspruch gegen die Bekl. auf Erstattung von Insolvenzgeld aus § 826 BGB. Sie hat nicht schlüssig dargelegt, dass sie einen durch die Bekl. verursachten Schaden erlitten hat."
1. Nach st. Rspr. haftet der Geschäftsführer einer GmbH, dem eine Insolvenzverschleppung vorzuwerfen ist, der Arbeitsverwaltung zwar nicht aus § 823 Abs. 2 BGB, § 64 GmbHG a.F. (vgl. OLG Stuttgart ZinsO 2010, 245), wohl aber aus § 826 BGB (vgl. BGHZ 108, 134; BGH NJW-RR 1991, 1312 und insb. BGHZ 175, 58; BGH NJW-RR 2010, 351).
2. Die Berufung stellt auch die Ausführungen des LG dazu, dass die Bekl. sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB gehandelt hätten, nicht in Frage. Sie nimmt die Feststellung, dass die GmbH zum 31.12.1999 überschuldet war ebenso hin wie die Feststellungen, dass die Bekl. das wussten, dass sie spätestens nach drei Wochen Insolvenzantrag stellen mussten (also am 21.2.2000), dass sie durch die tatsächliche Stellung des Antrags erst am 17.6.2004 die Schädigung der Gläubiger der GmbH billigend in Kauf nahmen, und dass auch die subjektive Seite des § 826 BGB gegeben sei.
3. Mit Erfolg beanstandet die Berufung aber, dass das LG einen Schaden der Kl. bejaht hat.
Zur Feststellung eines Schadens i.S.v. § 826 BGB wendet die Rspr. seit jeher die Differenzhypothese an. Danach ist der Schaden durch einen Vergleich des tatsächlichen Vermögens des Geschädigten mit dem hypothetischen Vermögensstand zu ermitteln, der ohne das schädigende Ereignis vorgelegen hätte (Vermögensvergleich, vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., Vor § 249 Rn 10).
Der Vortrag der Kl. ist unschlüssig, weil sie keinen Vermögensvergleich anstellt, sondern nur zu ihrem tatsächlichen Vermögen bzw. ihrem tatsächlich geleisteten Insolvenzgeld vorträgt und dieses als Schaden ansieht. Einen solchen Schaden haben die Bekl. aber hinreichend bestritten und vorgetragen, dass die Kl. bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung sogar mehr Insolvenzgeld hätte zahlen müssen. Nach der Rspr. des BGH stellt das keinen von den Bekl. darzulegenden und nachzuweisenden Einwand einer Reserveursache oder des rechtmäßigen Alternativverhaltens dar. Vielmehr handelt es sich um ein ausreichendes Bestreiten des Schadens. Für letzteren ist die Kl. darlegungs- und beweisbelastet (BGHZ 175, 58 Tz. 24; BGH NJW-RR 2010, 351 Tz. 9). Sie hätte mithin darlegen müssen, wie sich ihr Vermögen bei rechtzeitiger Antragstellung entwickelt und wie viel Insolvenzgeld sie dann bezahlt hätte. Das ist nicht geschehen. Im Einzelnen:
a) Ein wegen verspäteter Antragstellung verursachter Schaden der Kl. i.S.d. §§ 249, 826 BGB lässt sich nicht allein daraus herleiten, dass die Kl. den genannten acht Arbeitnehmern der RR GmbH Insolvenzgeld gezahlt hat.
Die Zahlungspflicht hing nicht davon ab, dass die Bekl. zu spät Insolvenzantrag gestellt haben, sondern nur vom Vorliegen der in § 183 SGB III a.F. genannten Voraussetzungen. Auch der rechtzeitige Insolvenzantrag führt regelmäßig nicht zur sofortigen Einstellung der Geschäftstätigkeit und zur Auflösung der Arbeitsverhältnisse, sondern zum Versuch, das Unternehmen bis zur Entscheidung über den Insolvenzantrag fortzuführen, sofern nicht eine Stilllegung des Betriebs zur Vermeidung einer weiteren Vermögensminderung erforderlich ist, § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO (BGH NJW-RR 2010, 351 Tz. 11). Regelmäßig ist es auch so, dass nach Insolvenzantragstellung die Leistung von Insolvenzgeld von einem vorläufigen Insolvenzverwalter als Sanierungsinstrument genutzt wird und daher das Verfahren überwiegend erst nach Ausschöpfung des Insolvenzgeldzeitraums eröffnet wird. Insolvenzgeld muss die Kl. deshalb regelmäßig...