ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 2
Leitsatz
In der widerspruchslosen Entgegennahme des zustellenden Schriftstücks durch eine in den Geschäftsräumen beschäftigte Person (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) liegt zugleich die (konkludente) Erklärung, dass der Zustellungsadressat abwesend beziehungsweise an der Entgegennahme der Zustellung verhindert ist. Weitere Nachforschungen des Zustellers sind dann regelmäßig nicht veranlasst.
BGH, Beschl. v. 4.2.2015 – III ZR 513/13
Sachverhalt
Die Kl. macht gegen die beiden Bekl., eine KG und ihre Komplementärin, eine GmbH, als Gesamtschuldner Zahlungsansprüche geltend. Durch Versäumnisurteil des LG wurden die Bekl. zur Zahlung verurteilt. Ausweislich der Postzustellungsurkunden wurde das Versäumnisurteil unter der Geschäftsadresse X an beide Bekl. durch Übergabe an die bei der Bekl. zu 1 beschäftigte Zeugin S. zugestellt. Dabei vermerkte der Zusteller jeweils in den Zustellungsurkunden, den Zustellungsadressaten (den Geschäftsführer der Bekl. zu 2 als deren gesetzlichen Vertreter) in dem Geschäftsraum nicht erreicht zu haben. Die Bekl. machen in Bezug auf die fristgerechte Einlegung des Einspruchs geltend, die Zustellung des Versäumnisurteils sei nicht wirksam erfolgt. Der Zusteller habe die beiden Schriftstücke ohne jede Nachfrage bei der Mitarbeiterin S. abgegeben, obwohl der Geschäftsführer der Bekl. zu 2 in den Geschäftsräumen anwesend und zur Annahme der Zustellung bereit gewesen sei.
Das LG hat den Einspruch durch Urteil gem. § 341 ZPO als unzulässig verworfen. Das OLG hat die Berufung der Bekl. nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Der BGH hat die Beschwerden der Bekl. gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
[7] "… II. Zulassungsgründe liegen nicht vor. Insb. hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO)."
[8] 1. Nach der st. Rspr. des BGH hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, das heißt allgemein von Bedeutung ist (grundlegend BGH, Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, BGHZ 151, 221; BGH, Beschl. v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn die durch das Berufungsurteil aufgeworfene Rechtsfrage zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen unter anderem in den Fällen, in denen die Rechtsfrage vom BGH bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Klärungsbedürftige Unklarheiten liegen dagegen nicht vor, wenn abweichende Ansichten in der Literatur vereinzelt geblieben und nicht oder nicht nachvollziehbar begründet sind (BGH, Beschl. v. 8.2.2010 – II ZR 54/09 – NJW-RR 2010, 1047).
[9] 2. Danach hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die von der Beschwerde formulierte Rechtsfrage, ob das für die Ersatzzustellung in den Geschäftsräumen nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO erforderliche Tatbestandsmerkmal des “Nichtantreffens‘ des Zustellungsadressaten eine ausdrückliche Nachfrage des Zustellers nach der Anwesenheit des Adressaten voraussetzt, ist nicht klärungsbedürftig. Die hierzu veröffentlichte Rspr. der Oberlandesgerichte ist einheitlich. Davon abweichende, nicht näher begründete Stimmen in der Literatur sind vereinzelt geblieben. Darauf, dass der BGH die Rechtsfrage noch nicht entschieden hat, kommt es nicht an (Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., § 543 Rn 11).
[10] a) Nach der oberlandesgerichtlichen Rspr. ist das Merkmal des “Nichtantreffens‘ des gesetzlichen Vertreters als Voraussetzung für eine Ersatzzustellung in Geschäftsräumen bereits dann erfüllt, wenn der gesetzliche Vertreter als abwesend oder verhindert bezeichnet wird. Ob dies zutrifft, ist unerheblich; insb. muss der Zusteller keine eigenen Nachforschungen darüber anstellen, zumal gerichtliche Zustellungen ein Massengeschäft sind und bei juristischen Personen die Ersatzzustellung inzwischen den Regelfall darstellt (OLG Frankfurt am Main WM 1996, 699; NJW-RR 1998, 1684; OLG Köln OLGR 2001, 116; siehe auch FG Hamburg, Urt. v. 30.1.2004 – III 320/03, juris und OVG Berlin-Brandenburg NJW 2012, 951). In Übereinstimmung mit dieser Rspr. ist das BG zutreffend davon ausgegangen, dass in der widerspruchslosen Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstücks durch eine in den Geschäftsräumen beschäftigte Person (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) zugleich die (konkludente) Erklärung liegt, der Zustellungsadressat sei abwesend bzw. an der Entgegennahme der Zustellung verhindert, und weitere Nachforschungen des Zustellers regelmäßig nicht veranlasst sind. Der Umstand, dass die vorgenannte oberlandesgerichtliche Rspr. zu §§ 183, 184 ZPO in der bis zum 30.6.2002 geltenden Fassung ergangen ist, ist...