StVG § 7 § 17; StVZO § 41b
Leitsatz
Ist an einem Verkehrsunfall ein Fahrzeug mit einem eingebauten Antiblockiersystem (ABS) bzw. einem Automatischen Blockierverhinderer (ABV) gem. § 41b StVZO beteiligt, erlauben fehlende Bremsspuren weder den Schluss auf eine maßvolle Geschwindigkeit noch auf das Vorliegen einer Vollbremsung.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Naumburg, Urt. v. 10.1.2014 – 10 U 11/13
Sachverhalt
Nach einem Kreuzungsunfall, bei dem zwei entgegenkommende Fahrzeuge zusammenstießen, konnten Bremsspuren nicht gesichert werden, da das Fahrzeug der Bekl. mit einem Antiblockiersystem oder einem automatischen Blockierverhinderer versehen war. Aus der gesicherten Lage der Scherben leitete der Senat ab, dass sich der Unfall noch vor dem Erreichen der Kreuzung ereignet hatte, und seine Ursache in einem Kurvenschneiden das Fahrers des Fahrzeuges der Kl. hatte, so dass von ihrer alleinigen Haftung auszugehen war. Für ein unfallanalytisches Gutachten fehle es an Anknüpfungstatsachen, da Bremsspuren nicht gesichert seien.
2 Aus den Gründen:
" … So spricht zum einen die sog. Scherbenlage nach dem Verkehrsunfall eindeutig gegen die Darstellung der Kl., dass die Fahrzeuge nach dem Unfall noch weiträumig bewegt worden seien. Dann folgt jedoch daraus, dass sich der Verkehrsunfall nicht bereits im Kreuzungsbereich ereignet hat, womit den Bekl. kein Vorfahrtverstoß zur Last gelegt werden kann. Daraus wiederum folgt, dass für den Senat nicht ersichtlich ist, wie die Beklagtenseite – deren Fahrzeug nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme äußerst rechts stand bzw. fuhr – den Verkehrsunfall noch hätte vermeiden können. Wie der Senat ferner in der mündlichen Senatsverhandlung ausgiebig dargelegt hat, fehlt es abgesehen von der eigenen Sachkunde des Senats für ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten jedenfalls auch an hinreichenden Anknüpfungstatsachen. Damit muss zulasten der Kl. letztendlich davon ausgegangen werden, Ursache des Verkehrsunfalls ganz überwiegend das “Kurvenschneiden‘ ihres Ehemannes war und damit dessen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO, während ein allenfalls danebenstehender geringfügiger Verursachungsbeitrag der Beklagtenseite … vernachlässigt werden kann."
3 Anmerkung:
Bei der Rekonstruktion des Unfallgeschehens, bei dem Kfz mit automatischen Blockierverhinderern beteiligt sind, werden oft keine zuordenbaren Spuren des Bremsvorgangs festgestellt. Damit fehlen die für die Einholung des Gutachtens erforderlichen Anknüpfungstatsachen des dem Gutachten zugrunde liegenden Sachverhalts (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 355 Rn 2). Es ist allein Sache des Gerichts, die Tatsachen festzulegen, von denen der Gutachter auszugehen hat, es sei denn, das Gericht muss hierfür die besondere, ihm fehlende Sachkunde des Gutachters in Anspruch nehmen (vgl. BGH NJW 1962, 1770; BGH NJW 1997, 1446, 1447). Damit darf sich das Gericht insb. bei widersprechenden Zeugenaussagen der allein ihm obliegenden Beweiswürdigung nicht entziehen und dem Sachverständigen auf dessen Suche nach Anknüpfungstatsachen die Beweiswürdigung "übertragen" (vgl. Burmann, in: Burmann/Schmedding, Unfallrekonstruktion im Verkehrsprozess, § 11 Rn 6 f.). Nur im Ausnahmefall des § 404a Abs. 4 ZPO darf der hierfür allein befähigte Sachverständige bei auch insoweit fehlender Sachkunde des Gerichts die Aufklärung der zugrunde zu legenden Anknüpfungstatsache übernehmen. Nicht vollkommen ausgeschlossen ist es, dass trotz Vorhandensein eines Blockierverhinderers ABS-Regelspuren auftreten können. Dabei treten wechselnd starke Spurenfragmente auf, die auf die während der ABS-Bremsung auftretende veränderliche Schlupfwerte am Reifen zurückzuführen sind (vgl. Deeken, in: Burmann/Schmedding a.a.O. § 2 Rn 12).
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 5/2015, S. 271 - 272