BGB § 407 Abs. 2 § 412; SGB VII § 106 Abs. 3 Alt. 3; ZPO § 325 Abs. 1
Leitsatz
1. Eine rechtskräftige Entscheidung entfaltet Bindungswirkung regelmäßig nur gegenüber den Parteien des Vorprozesses.
2. Für die Kenntnis von einem Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X reicht aus, dass der Schädiger tatsächliche Umstände kennt, von denen allgemein bekannt ist, dass sie versicherungspflichtig machen.
3. Eine "gemeinsame" Betriebsstätte setzt eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation voraus. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung.
BGH, Urt. v. 23.9.2014 – VI ZR 483/12
Sachverhalt
Die klagende Berufsgenossenschaft hat Ansprüche gegen die Bekl. aus gem. § 116 Abs. 1 SGB X übergegangenem Recht für Aufwendungen wegen unfallbedingter Verletzungen des bei ihr versicherten K geltend gemacht.
K befuhr mit dem Lkw seiner Arbeitgeberin, einer Transportfirma, das Betriebsgelände der Bekl., um dort Kalk zu laden. Da die Verladestation durch einen anderen Lkw besetzt war, verließ K das Fahrzeug, um den Domdeckel seines Lkw zu öffnen. Dabei stürzte K auf einer Eisplatte, zog sich erhebliche Verletzungen zu und war längere Zeit arbeitsunfähig. Von den hierdurch entstandenen Aufwendungen von 34.000 EUR hat die Kl. unter Anrechnung eines Mitverschuldens des Versicherten von 30 % gegenüber der Bekl. 70 % geltend gemacht.
Der Versicherte machte im Vorprozess gegen die Bekl. den Ersatz der ihm aus dem Unfall entstandenen Schäden geltend. Das LG verneinte den Klageanspruch mit der Begründung, dass zugunsten der Bekl. die Haftungsprivilegierung nach § 106 Abs. 3 Alt. 3, § 194 Abs. 1 S. 1 SGB VII eingreife. Das BG wies die Berufung des Versicherten mit der gleichen Begründung wie das LG ab. Das Urteil ist rechtskräftig geworden. Im vorliegenden Rechtsstreit ging das LG davon aus, dass die rechtskräftige Entscheidung des LG im Vorprozess Bindungswirkung im vorliegenden Rechtsstreit entfalte. Das BG ließ diese Frage offen und legte zugrunde, dass der Anspruch der Kl. Jedenfalls deshalb ausgeschlossen sei, weil zugunsten der Bekl. von ihrer Haftungsprivilegierung wegen einer Tätigkeit des Versicherten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte auszugehen sei. Die beiderseitigen Aktivitäten des Versicherten der Kl. und der Mitarbeiter der Bekl. stellten sich als ein aufeinander bezogenes Zusammenwirken auf einer gemeinsamen Betriebsstätte dar.
Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das BG zur neuen Verhandlung und Entscheidung.
2 Aus den Gründen:
[7] "… Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen ist nicht ausgeschlossen, dass die Kl. aus übergegangenem Recht des Versicherten von der Bekl. Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht (§ 823 Abs. 1 BGB) beanspruchen kann. Ein solcher Anspruch ist entgegen der Auffassung des BG nicht aufgrund einer Haftungsprivilegierung wegen des Zusammenwirkens auf einer gemeinsamen Betriebsstätte (§ 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII) ausgeschlossen."
[8] 1. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung entfaltet das rechtskräftige Urteil im Verfahren zwischen dem Versicherten K und der Bekl., durch das die Klage wegen der Haftungsprivilegierung der Bekl. abgewiesen worden ist, keine Bindungswirkung im vorliegenden Rechtsstreit zugunsten der Bekl.
[9] a) Das Urteil wirkt Rechtskraft nur zwischen den damaligen Prozessparteien (vgl. BGH, Urt. v. 11.11.1993 – IX ZR 35/93, BGHZ 124, 86, 95; Beschl. v. 16.6.1993 – I ZB 14/91, BGHZ 123, 30, 33 f.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. § 325 Rn 3). Hingegen erstreckt sich die Rechtskraft nicht auf Dritte, die am Prozess nicht teilgenommen haben und deshalb auf die Entscheidungsfindung keinen Einfluss hatten. Einer der Fälle, in denen das Gesetz die Rechtskraft auf Dritte erstreckt (§§ 325 ff. ZPO), liegt offensichtlich nicht vor (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 28.5.1969 – V ZR 46/66, BGHZ 52, 150, 151 ff.).
[10] Für die Anwendung der Regelung in § 325 Abs. 1 ZPO, wonach das rechtskräftige Urteil zugleich für und gegen die Personen wirkt, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind, fehlt, dass die Ansprüche des Versicherten K erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit auf die Kl. übergegangen sind. Der Anspruchsübergang gem. § 116 Abs. 1 SGB X lag zeitlich jedenfalls vor der Rechtshängigkeit des Vorprozesses. Liegen die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 SGB X vor, so geht der Anspruch des Geschädigten gegen den Schädiger kraft Gesetzes, d.h. ohne weiteres Zutun des regressberechtigten Sozialleistungsträgers, auf diesen über (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl., § 116 SGB X S. 971 b; Nehls, in: Hauck/Noftz, SGB X/2, K § 116 Rn 1 [Lfg. 1/07]; Kater, in: Kasseler Kommentar, § 116 SGB X Rn 141a [Stand: Juni 2013]; Pickel/Marschner, SGB X, § 116 Rn 13, 21 [Stand: April 2014]; Gitter, in:...