ZPO § 91 Abs. 1 S. 1; VV RVG Nr. 3200
Leitsatz
1. Notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO sind nur Kosten für solche Maßnahmen, die im Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erscheinen. Das ist vom Standpunkt einer verständigen und wirtschaftlich vernünftigen Partei aus zu beurteilen, wobei grds. auf den Zeitpunkt der Vornahme der kostenverursachenden Handlung abzustellen ist und es auf die – auch unverschuldete – Unkenntnis der Partei oder ihres Rechtsanwalts von den maßgeblichen Umständen nicht ankommt.
2. Die durch die Einreichung einer Berufungserwiderung nach Berufungsrücknahme entstandenen Kosten eines Rechtsanwalts sind auch dann nicht erstattungsfähig, wenn der Berufungsbeklagte die Rechtsmittelrücknahme nicht kannte oder kennen musste.
BGH, Beschl. v. 25.2.2016 – III ZB 66/15
Sachverhalt
Die Kl. hatte gegen das ihre Klage abweisende Urt. des LG Landshut Berufung eingelegt und diese begründet. Das OLG München wies die Kl. durch Beschl. v. 22.10.2014 auf die fehlenden Erfolgsaussichten ihres Rechtsmittels hin und kündigte dessen Zurückweisung gem. § 522 Abs. 2 ZPO an. Gleichzeitig setzte das Gericht den Parteien eine Frist zur Stellungnahme bis zum 14.11.2014. Hieraufhin nahm die Kl. mit Schriftsatz vom 12.11.2014, der am selben Tage beim OLG München einging und am 20.11.2014 den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Bekl. zugestellt wurde, ihre Berufung zurück. Durch Beschl. v. 13.11.2014 hat das OLG München der Kl. die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt und ausgesprochen, dass die Kl. des Rechtsmittels der Berufung verlustig sei. Dieser Beschl. ist den Prozessbevollmächtigten der Bekl. am 20.11.2014 zugegangen. Bereits mit Schriftsatz vom 14.11.2014, eingegangen beim OLG München am selben Tag, hatten die Prozessbevollmächtigten der Bekl. die Zurückweisung der Berufung der Kl. beantragt.
Auf Antrag der Bekl. hat der Rechtspfleger des LG Landshut als von der Kl. an die Bekl. zu erstattenden Kosten des Berufungsverfahrens eine 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG nebst Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG zzgl. Auslagen festgesetzt. Mit ihrer hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat die Kl. die Zurückweisung des Kostenfestsetzungsantrags der Bekl. unter Aufhebung des Kostenfestsetzungsbeschlusses mit der Begründung beantragt, die Prozessbevollmächtigten der Bekl. seien erst nach Beendigung des Berufungsverfahrens tätig geworden.
Das OLG München hat die sofortige Beschwerde der Kl. zurückgewiesen. Auf die – zugelassene – Rechtsbeschwerde hat der BGH die Entscheidung des OLG München und den Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Landshut aufgehoben und den Kostenfestsetzungsantrag der Bekl. insgesamt zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
[4] "… II. Die nach § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Beschwerdegericht hat einen Anspruch der Bekl. auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,6-fachen Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 RVG VV (nebst Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 RVG VV) zu Unrecht bejaht …"
[7] 2. a) Die vom LG antragsgemäß festgesetzte 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG VV gehört nicht zu den erstattungsfähigen Kosten des Gegners i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, da der Berufungszurückweisungsantrag erst nach Rücknahme des Rechtsmittels gestellt worden ist. Dabei kann dahinstehen, ob durch die Einreichung der Berufungserwiderung am 14.11.2014 – wie das Beschwerdegericht meint – eine volle Verfahrensgebühr gegenüber den Bekl. angefallen ist. Denn die Entstehung der Verfahrensgebühr ist von ihrer Erstattungsfähigkeit streng zu unterscheiden (Maué, in: Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl., Nr. 3200–3205 VV Rn 6).
[8] aa) Gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO hat die unterliegende Partei oder im Falle der Berufungsrücknahme der Berufungskläger (§ 516 Abs. 3 ZPO) dem Gegner die diesem erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig waren. Notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO sind nur Kosten für solche Maßnahmen, die im Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erscheinen (vgl. nur Senatsbeschl. RVGreport 2006, 357 (Hansens) = AGS 2006, 516; BGH RVGreport 2007, 348 (Ders.) = AGS 2007,477; OLG Brandenburg RVGreport 2010, 194 (Ders.); OLG Düsseldorf RVGreport 2009, 22 (Ders.) = AGS 2008, 623; Hk-ZPO/Gierl, 6. Aufl., § 91 Rn 13; Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, 12. Aufl., § 91 Rn 8). Das ist vom Standpunkt einer verständigen und wirtschaftlich vernünftigen Partei aus zu beurteilen, wobei grds. auf den Zeitpunkt der Vornahme der kostenverursachenden Handlung abzustellen ist (Senatsbeschl. a.a.O.; s. auch BGH RVGreport 2012, 229 [Hansens] = zfs 2012, 285 mit Anm. Hansens; BGH RVGreport 2012, 351 [Ders.] = zfs 2012, 524 mit Anm. Hansens = AGS 2012, 493; BGH RVGreport 2014, 74 [Ders.] = zfs 2014, 46 mit Anm. Hansens = AGS 2014, 94).
[9] bb) Die Frage, ob im Berufungsverfahren die Kosten für die Einreic...