1. Die Verkehrssicherungspflicht umfasst die Verpflichtung des Straßenbaulastträgers oder des für ihn Eintrittspflichtigen (vgl. Art. 90 GG, § 5 Abs. 1 FStrG), die zumutbaren und notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung von Verkehrsteilnehmern zu verhindern (vgl. BGH VersR 2003, 1319). Der Verkehrsteilnehmer ist gegen unvermutete, aus der Beschaffenheit der Straße sich ergebende Gefahrenquellen zu sichern, zumindest aber vor ihnen zu warnen (vgl. OLG Celle NZV 2007, 569, 570). Vielgestaltigkeit und Umfang der Haftungsgründe aus der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht lassen sich den Aufstellungen von Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl., Kap. 42 und von Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 13 Rn 60–70 entnehmen.
2. Die vorausgehenden Entscheidungen des OLG Hamm befassen sich mit zwei bedeutsamen unfallträchtigen Konstellationen der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Beiden gemeinsam ist die verkehrsunsicher gewordene Oberflächenbeschaffenheit der Fahrbahn.
Dem Sachverhalt der Entscheidung v. 11.9.2015 lag die Konstellation zugrunde, dass die Oberfläche der Fahrbahn infolge Hitzeeinwirkung weich und rutschig geworden war. Die Entscheidung des OLG Hamm vom 18.12.2015 befasste sich mit der Beurteilung einer Unfallsituation, bei der ein Motorradfahrer auf einer regennassen Fahrbahn infolge fehlender Griffigkeit der Fahrbahn stürzte.
Hitzeaufbrüche von Fahrbahnen haben die Rspr. schon häufig beschäftigt (vgl. OLG Celle VersR 1984, 1172; LG Darmstadt VersR 1989, 1210; LG Heidelberg VersR 1972, 303). Besonders unfallträchtig sind die Fälle der Hitzeeinwirkung auf die Fahrbahn, bei der Verwerfungen auf Betonplatten auftreten, die zur Ausbildung von unerwünschten Sprungschanzen führen (sog. "Blow-up-Effekt"), bei der sich hitzebedingt Betonplatten aufbäumen und teilweise übereinander schieben (vgl. LG Heidelberg VersR 1992, 703). Nach den Feststellungen eines Gutachters ist dieser Effekt plötzlich und unvorhersehbar, kann jedoch vermindert werden, wenn die Betonfahrbahn in raumfugenloser Bauweise erstellt wird (LG Heidelberg a.a.O.). Bei infolge Hitzeeinwirkung aufgeweichten Teerstellen einer Straße ist die ältere Rspr. davon ausgegangen, dass eine Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ausgeschlossen sein kann, insb. dann, wenn erkennbare Besonderheiten wie eine Sandstreuung auf der aufgeweichten Teeroberfläche vorliegt (vgl. OLG Bamberg VersR 1979, 362; OLG Bamberg VersR 1970, 845). Werden straßenbauliche Mängel nicht sofort behoben, was auf leere Kassen der Verkehrssicherungspflichtigen zurückzuführen ist (vgl. Herber, NZV 2011, 162, 165 f.), muss jedenfalls eine Warnung vor der Gefahrensituation durch Aufstellen von Verkehrszeichen, ggf. eine zusätzlichen Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung erfolgen (vgl. Herber, in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl., Kap. 4 Rn 4 ff., ders., NZV 2011, 161, 162). Zur Kasuistik der Warnung vor Gefahren vgl. OLG Koblenz OLGR 1997, 79; OLG Düsseldorf OLGR 1998, 310; Herber, NZV 2011, 161, 162 f.
Die Beeinträchtigung der Verkehrssicherungspflicht von Straßenoberflächen bei Nässe durch Herabsetzung der Griffigkeit liegt der Entscheidung des OLG Hamm vom 18.12.2015 zugrunde. Griffigkeit ist die Eigenschaft einer Fahrbahnoberfläche bei Nässe unter Mitwirkung der Reifen des Fahrzeuges, die zur sicheren Bewältigung der Fahraufgaben erforderlichen Reibungskräfte zu entwickeln (vgl. Wendrich, NZV 2001, 503). Abhängig ist die Griffigkeit einer Fahrbahn von der Rauheit und stofflichen Beschaffenheit der Fahrbahnoberfläche (Wendrich, a.a.O.). Die Griffigkeit der Oberfläche der Fahrbahn ist eine der maßgeblichen Größen für den Kraftschluss zwischen Reifen und Fahrbahn, insb. beim Bremsen durch Beeinflussung der Abführungen von Wasser aus der Kontaktfläche des Reifens mit der Fahrbahn, und setzt damit die Gefahr des Aquaplaning herab. Obwohl die Griffigkeit einer Fahrbahnoberfläche nur eine der bestimmenden Faktoren für die Bestimmung der Verkehrssicherung ist und Fahrgeschwindigkeit, Verhalten des Fahrers beim Lenken und Bremsen, Eigenschaften des Fahrzeuges und auch der Nässe- und Verschmutzungsgrad der Fahrbahn Einfluss auf das Fahrverhalten haben (vgl. Wendrich, a.a.O), ist der Verkehrssicherungspflichtige gehalten, insb. bei einer Häufung von Unfällen im fraglichen Bereich jedenfalls Vorkehrungen gegen Unfälle wie in der Fallgruppe von Hitzeeinbrüchen zu treffen (vgl. BGH MDR 1973, 456; Wendrich, a.a.O. 503, 508).
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 5/2016, S. 260 - 263