BGB § 435 S. 1 § 437 Nr. 2
Leitsatz
Die bei Gefahrübergang vorhandene und im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung fortbestehende Eintragung eines Kfz im Schengener Informationssystem (SIS) zum Zwecke der Sicherstellung und Identitätsfeststellung ist ein erheblicher Rechtsmangel, der den Käufer zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt.
BGH, Urt. v. 18.1.2017 – VIII ZR 234/15
Sachverhalt
Ein in Deutschland verkaufter Pkw war in die Fahndungsliste aufgrund einer SIS-Ausschreibung einer französischen Behörde eingetragen worden. Im französischen Strafverfahren konnte bisher nicht abschließend geklärt werden, ob der Pkw dem (früheren) französischen Eigentümer abhandengekommen oder Objekt eines Versicherungsbetrugs gewesen ist. Der Pkw wurde von der Polizei in D aufgrund der Eintragung im SIS zunächst sichergestellt, sodann jedoch freigegeben. Dem Kl. gelang es, das Fahrzeug in Deutschland zum Straßenverkehr zuzulassen.
Danach wurde das Fahrzeug für die Dauer von mehreren Monaten aufgrund der fortbestehenden Eintragung im SIS sichergestellt.
Der BGH billigte den daraufhin von dem klagenden Käufer erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag.
2 Aus den Gründen:
[22] "… (Bereits) die Eintragung eines Kfz in die Fahndungsliste aufgrund einer SIS-Ausschreibung [ist] als Rechtsmangel anzusehen (so auch die einhellige Auffassung der OLG; vgl. OLG Köln v. 25.3.2014 – 3 U 185/13, NJW-RR 2014, 1080; OLG Düsseldorf v. 20.2.2015 – I-22 U 159/14, juris; OLG München, Urt. v. 2.5.2016 – 21 U 3016/15, juris). Zwar handelt es sich bei dem Schengener Informationssystem (nur) um eine interne Datenbank der Sicherheitsbehörden des Schengen-Raumes, mit der – anders als bei einer bereits vollzogenen behördlichen Beschlagnahme oder Sicherstellung – noch kein unmittelbarer Eingriff in Form des Entzugs der Sache verbunden ist. Die Eigenart der auf einem internationalen Abkommen beruhenden SIS-Sachfahndung gebietet es jedoch, bereits die Eintragung als solche und nicht erst eine daraufhin erfolgende Beschlagnahme oder Sicherstellung als Rechtsmangel einzuordnen. Denn bereits die Eintragung eines Kfz in dieses Fahndungssystem ist für den Käufer mit der Gefahr einer erheblichen Nutzungsbeeinträchtigung verbunden und führt damit zu einer individuellen Belastung, die geeignet ist, den Käufer in der ungestörten Ausübung der ihm nach § 903 S. 1 BGB gebührenden Rechtsposition zu beeinträchtigen."
[23] aa) Die SIS-Ausschreibung hat ihre rechtliche Grundlage in dem Beschl. 2007/533/JI des Europäischen Rats v. 12.6.2007 über die Errichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II; ABl L 205/63). In Art. 38 Abs. 1, 2 Buchst. a dieses Beschlusses ist geregelt, dass Daten in Bezug auf Kfz, die zur Sicherstellung oder Beweissicherung in Strafverfahren gesucht werden, in das Fahndungssystem eingegeben werden können. Wird das gesuchte Fahrzeug aufgefunden, wird dem aufgreifenden Mitgliedsstaat in Art. 39 Abs. 3 des Beschlusses aufgegeben, Maßnahmen nach Maßgabe seines nationalen Rechts zu ergreifen.
[24] Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage ist die SIS-Ausschreibung eines Kfz mit der konkreten, im gesamten Schengen-Raum bestehenden Gefahr verbunden, dass bei der Zulassung des Fahrzeugs, einer Halteränderung oder bei einer polizeilichen Kontrolle die Eintragung festgestellt wird und das Fahrzeug daraufhin behördlicherseits – nach den jeweiligen Rechtsvorschriften des Landes, in dem es aufgefunden wird – rechtmäßig sichergestellt oder beschlagnahmt wird, wie es auch im vorliegenden Fall Mitte des Jahres 2013 für die Dauer von mehreren Monaten geschehen ist.
[25] Entgegen der Auffassung der Revision ist es für die Einordnung als Rechtsmangel unerheblich, dass der streitgegenständliche Pkw hier nach der Sicherstellung in D von der dortigen Polizei wieder freigegeben wurde und der Kl. das Fahrzeug anschließend zum Straßenverkehr zulassen konnte. Denn die Ausschreibung besteht nach wie vor, weil ungeachtet der schon länger andauernden Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden bisher nicht abschließend geklärt werden konnte, ob der Pkw dem (früheren) französischen Eigentümer abhandengekommen oder er Gegenstand eines Versicherungsbetruges gewesen ist; auch das – zwischenzeitlich für kurze Zeit eingestellte – Ermittlungsverfahren gegen beide Parteien dauerte jedenfalls bis in das Jahr 2015 hinein an.
[26] Die SIS-Ausschreibung erschöpft sich deshalb entgegen der Auffassung der Revision nicht in einem vorübergehenden Zulassungshindernis. Denn die durch die Eintragung begründeten Zugriffsmöglichkeiten der staatlichen Strafverfolgungsbehörden des Schengen-Raums bestehen fort, solange die Eintragung nicht beseitigt ist. Damit kann der Kl., selbst wenn er – was angesichts der ungeklärten Historie des Fahrzeugs offen ist – Eigentümer des Fahrzeugs geworden sein sollte, gerade nicht, wie in § 903 S. 1 BGB vorgesehen, unbelastet von (Zugriffs-)Rechten Dritter nach Belieben mit der Kaufsache verfahren. Denn sobald er das Fahrzeug im öffentlichen Raum bewegt, muss er damit rechnen, d...