ARB 2010 § 1
Leitsatz
1. § 5 (1) f) aa) ARB 2010 enthält keine zahlenmäßige Beschränkung auf nur ein Sachverständigengutachten zur Überprüfung von Messverfahren im Ordnungswidrigkeitenverfahren.
2. Die Frage der Erforderlichkeit von Leistungen eines Rechtsschutzversicherers nach § 1 ARB 2010 bestimmt sich aus Sicht des durchschnittlichen VN. Der VR kann sich nicht auf die Regelungen des § 17 ARB 2010 berufen, wonach kostenauslösende Maßnahmen mit ihm abzustimmen sind und der VN für eine Minderung des Schadens zu sorgen hat, da § 5 (1) f) aa) ARB 2010 in § 17 ARB 2010 nicht ausdrücklich erwähnt wird.
AG Saarlouis, Urt. v. 1.2.2017 – 28 C 845/16 (70)
Sachverhalt
Der Kl. begehrt von der beklagten Rechtsschutzversicherung Freistellung von Kosten eines Zweitgutachtens zur Überprüfung eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens in einem gegen ihn gerichteten Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung.
Der Kl. war Betroffener eines Bußgeldverfahrens, in welchem ihm die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 24 km/h vorgeworfen wurde.
Zur Überprüfung dieses Vorwurfs beauftragte die Verteidigerin des Kl. am 8.4.2014 die Erstellung eines Gutachtens zu der Frage, ob die vorhandenen Beweisunterlagen zur Belegung der gegenständlichen Messung im Sinne eines standardisierten Messverfahrens ausreichend sind.
Auf Anfrage der Verteidigerin v. 7.4.2014, wonach beabsichtigt sei, gegen den gegen ihren Mandanten gerichteten Vorwurf vorzugehen und eine gutachterliche Bewertung der Beweismittel zu veranlassen, erteilte die Bekl. dem Kl. am 8.7.2014 Deckungszusage für das Verfahren 1. Instanz. Das Gutachten wurde am 28.7.2014 erstattet und dafür ein Betrag i.H.v. 653,08 EUR in Rechnung gestellt, welcher von der Bekl. ausgeglichen wurde.
In dem nachfolgenden Gerichtsverfahren wurde durch das AG L die D zur Erstattung eines Gutachtens hinsichtlich der Messung beauftragt.
Mit Schreiben v. 22.6.2015 fragte die Bekl. nach dem Verfahrensstand an, da in der Zwischenzeit keine weitere Unterrichtung seitens des Kl. mehr erfolgt war. Die Verteidigerin wies lediglich auf die gerichtliche Einholung eines Sachverständigengutachtens hin.
Nach Vorlage des D Gutachtens beauftragte die Verteidigerin ohne weitere Rücksprache mit der Bekl. die Erstellung eines weiteren Gutachtens mit dem Ziel, das D Gutachten, welches von der Ordnungsgemäßheit der Messung ausging, überprüfen zu lassen. Dieses Zweitgutachten wurde der Bekl. am 1.9.2015 mit 577,02 EUR berechnet. Die Bekl. lehnte die Regulierung der entstandenen Kosten ab, da nur erforderliche Leistungen vom Leistungsumfang erfasst seien und dies bei dem eingeholten Gutachten nicht der Fall sei, da Unklarheiten bezüglich des D Gutachtens in der Hauptverhandlung hätten erfragt werden können. Bereits das erste Gutachten sei schon nicht erforderlich gewesen, da es dabei allein um die Überprüfung eines anerkannten standardisierten Messverfahrens gegangen sei.
2 Aus den Gründen:
" … Die Klage ist begründet."
Dem Kl. steht gegen die Bekl. ein Anspruch auf Freistellung von den Kosten eines im Rahmen eines Bußgeldverfahren eingeholten Privatgutachtens i.H.v. 577,02 EUR zu. Unstreitig besteht zwischen den Parteien ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, der auch den Versicherungsschutz für Ordnungswidrigkeiten umfasst.
Nach den diesem Vertrag zugrunde liegenden ARB 2010 trägt der VR u.a. die übliche Vergütung einer rechtsfähigen technischen Sachverständigen-Organisation im Falle der Verteidigung in verkehrsrechtlichen Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren.
Die Üblichkeit der unter dem 21.8.2015 mit vorgenanntem Betrag von 577,02 EUR berechneten ergänzenden Stellungnahme des von dem Kl. beauftragten Sachverständigenbüros steht nicht im Streit. Die Gutachtenprüfung stellt auch inhaltlich ein Gutachten i.S.d. vorzitierten AVB dar.
Zu Recht weist der Kl. auch darauf hin, dass weder die Versicherungsbedingungen – noch die erteilte Deckungszusage – eine zahlenmäßige Beschränkung auf nur ein Gutachten vorsehen.
Zwar regelt § 1 der Versicherungsbedingungen, dass der VR zur Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des VN lediglich erforderliche Leistungen erbringt. Die Erforderlichkeit ist Jedoch aus Sicht des VN zu bestimmen.
Hierbei ist vorliegend zu berücksichtigen, dass im Laufe des Gerichtsverfahrens durch das Gerichtsgutachten eine andere Bewertung der Geschwindigkeitsmessung als im zuvor von dem Kl. eingeholten Privatgutachten erfolgte und nunmehr aus Sicht der Verteidigung aufgrund dieser unterschiedlichen Bewertungen des Messverfahrens durch Sachverständige und hieraus sich ergebender divergierender Ergebnisse wohl zulasten ihres Mandanten, aber auch aufgrund der Komplexität der Materie eine ergänzende Stellungnahme des Privatgutachters geboten schien. Von der Erforderlichkeit durfte der Kl. hierbei auch deshalb ausgehen, als die Bekl. einschränkungslos die Kosten des vorzitierten Erstgutachten erstattete, sich hierbei nicht darauf berief, dass aus Schadensminderungsgesichtspunkten die Erstellung dieses Privatgutacht...