VVG § 28 Abs. 4
Leitsatz
Voraussetzung der Leistungsfreiheit wegen Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit ist, dass die Sanktionsklausel der AVB den Hinweis auf die Belehrungsnotwendigkeit enthält.
(Leitsatz der Schriftleitung)
LG Berlin, Urt. v. 2.12.2016 – 42 O 199/16
Sachverhalt
Der Kl. macht gegen die Bekl. Ansprüche aus einem Vollkaskoversicherungsvertrag geltend.
Der Kl. ist Eigentümer eines Porsches. Für dieses Fahrzeug besteht bei der Bekl. eine Vollkaskoversicherung.
In den zwischen den Parteien vereinbarten AKB heißt es auszugsweise:
"E.2.1 Leistungsfreiheit bzw. Leistungskürzung"
Verletzen Sie vorsätzlich eine Ihrer in E.1.1 bis E.1.6 geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. Verletzen Sie Ihre Pflichten grob fahrlässig, sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere Ihres Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Weisen Sie nach, dass Sie die Pflicht nicht grob fahrlässig verletzt haben, bleibt der Versicherungsschutz bestehen.
E.2.2
Abweichend von E.2.1 sind wir zur Leistung verpflichtet, soweit Sie nachweisen, dass die Pflichtverletzung weder für die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang unserer Leistungspflicht ursächlich war. Dies gilt nicht, wenn Sie die Pflicht arglistig verletzen.“
Am 3.1.2016 befand sich der Kl. mit seinem Fahrzeug auf dem Rückweg von Ulm nach Berlin. Er befuhr die BAB 9 auf dem linken Fahrstreifen. Das Fahrzeug des Kl. streifte die Leitplanke mit der gesamten linken Seite. Es wurde dabei erheblich beschädigt. Der Kl. verweilte nicht an der Unfallstelle, sondern steuerte den nächsten Rastplatz an, der sich in einer Entfernung von ca. 5 km befand. Dort begutachtete er die Schäden an seinem Fahrzeug. Am nächsten Tag meldete er den Schaden bei der Bekl. Im Februar 2016 meldete er den Schaden auch bei der Polizei.
2 Aus den Gründen:
" … 1. Dem Kl. steht der geltend gemachte Anspruch gem. Buchst. A.2.2.2, A.2.5.2.1, A.2.5.4 AKB zu."
a) Dass das Fahrzeug des Kl. durch einen Unfall auf der Fahrt von Ulm nach Berlin in der Nähe von Bayreuth auf der BAB 9 beschädigt worden ist und die Reparaturkosten 17.756,50 EUR brutto betragen, ist unstreitig. Abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung i.H.v. 500 EUR ergibt sich der mit der Klage geltend gemachte Betrag i.H.v. 17.256,50 EUR.
b) Ob der Kl. versicherungsvertragliche Obliegenheiten aus Buchst. E. 1.1.3 AKB verletzt hat, kann dahinstehen, weil einer Leistungsfreiheit der Bekl. jedenfalls die Unwirksamkeit der in Buchst E.2 AKB enthaltenen Sanktionsregelung entgegensteht.
aa) Die genannte Sanktionsklausel weicht entgegen § 32 S. 1 VVG zum Nachteil des VN von der halbzwingenden Vorschrift des § 28 Abs. 4 VVG ab. Anders als es § 28 Abs. 4 VVG vorsieht, fehlt dort nämlich eine Regelung, wonach die Leistungsfreiheit bei Verletzung einer nach Eintritt des Versicherungsfalls bestehenden Auskunfts- oder Aufklärungsobliegenheit voraussetzt, dass der VR den VN durch gesonderte Mitteilung in Textform auf diese Rechtsfolge hingewiesen hat. Die Abweichung führt nach § 32 S. 1 VVG i.V.m. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB zur Unwirksamkeit der Sanktionsregelung, weil sie mit dem in § 28 Abs. 4 VVG enthaltenen wesentlichen Grundgedanken – die Wesentlichkeit ergibt sich aus dem halbzwingenden Charakter des § 28 Abs. 4 VVG – nicht vereinbar ist (BGH NJW 2014, 1813 Rn 21 f.; im Ergebnis ebenso LG Berlin, Urt. v. 22.6.2016 – 23 O 345/15 – und Marlow, r+s 2015, 591, 592 f.). Darauf, ob die Regelung des § 28 Abs. 3 VVG im vorliegenden Fall relevant ist, kommt es nicht an, weil bei der Prüfung der Wirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine generalisierende Betrachtung anzustellen ist.
bb) Die durch die Unwirksamkeit der Sanktionsregelung entstandene Vertragslücke kann nicht gem. § 306 Abs. 2 BGB i.V.m. § 28 Abs. 2, 3, 4 VVG geschlossen werden, § 28 Abs. 2 VVG setzt, wie insb. der Wortlaut der Vorschrift zeigt (“Bestimmt der Vertrag, dass … '), eine wirksame vertragliche Vereinbarung voraus, aus der sich ergibt, dass der VR bei Verletzung einer vom VN zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheit nicht zur Leistung verpflichtet ist. § 28 VVG enthält – anders als § 81 VVG – kein Leistungskürzungsrecht, sondern beschränkt die bei Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit zulässigen Sanktionen (BT-Drucks 16/3945, S. 68 l. Sp.). Aufgrund der Unwirksamkeit der hier maßgeblichen Sanktionsklausel fehlt es an der erforderlichen vertraglichen Vereinbarung. …
cc) Auch für eine ergänzende Vertragsauslegung ist kein Raum.
(1) Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist, dass sie nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führt, es dem VR gem. § 306 Abs. 3 BGB ohne ergänzende Vertragsauslegung unzumutbar ist, an dem lückenhaften Vertrag festgehalten zu werden, und der ergänzte Vertrag für den VN typischerweise von Interesse ist. …
Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil es der Bekl. nicht unzumutbar ist, an dem lückenhaften Vertrag festgehalten zu werden:
Ob eine Unzumutba...