1. Die Billigkeitshaftung des § 829 BGB, die ein wirtschaftliches Gefälle zugunsten des nicht verantwortlichen und damit nach §§ 823 ff. BGB für den Schaden nicht eintrittspflichtigen Geschädigten voraussetzt (vgl. Rn 10 der Entscheidung), wird im Regelfall bei dem Schädiger keine Vermögensverhältnisse vorfinden, die im Verhältnis zu denen des Geschädigten ein deutliches Überwiegen ergeben.
Die Frage nach dem wirtschaftlichen Gefälle kann sich bei dem Bestehen eines Versicherungsschutzes des Schädigers darauf zuspitzen, ob der Griff des Geschädigten in die tiefen Taschen der Haftpflichtversicherung erlaubt ist und die erheblichen finanziellen Mittel der Haftpflichtversicherung in die Ermittlung des "Gefälles" einzustellen sind (vgl. zu diesen Versuchen Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 6. Aufl., Rn 1315). Lediglich bei dem Bestehen einer Kfz-Pflichtversicherung hat der BGH vor der Änderung des § 253 BGB und der damit eingeführten Zubilligung von Schmerzensgeld bei vorliegender Gefährdungshaftung das Bestehen einer Kfz-Pflichtversicherung im Rahmen des § 829 BGB berücksichtigt (vgl. BGH VersR 1995, 96). Nachdem die Gefährdungshaftung nach § 7 StVG einen Anspruch auf Schmerzensgeld begründet, kommt es auf Verschulden und Zurechnungsfähigkeit des Schädigers nicht mehr für die Zubilligung von Schmerzensgeld an, so dass ein Bedürfnis für die Heranziehung des § 829 BGB nicht mehr besteht.
2. Zu verneinen ist allerdings die Frage, ob wegen der Neuregelung der Verantwortlichkeit von Kindern im Straßenverkehr in § 828 Abs. 2 BGB eine realistische Möglichkeit zur Begründung eines Schmerzensgeldanspruchs nach § 829 BGB gegen das Kind besteht. Die in § 828 Abs. 2 BGB angeordnete fehlende Verantwortlichkeit des Kindes bis zum 10. Lebensjahr für Schäden bei einem Unfall im Straßenverkehr hätte danach die Folge, dass der Kraftfahrer den ihm entstandenen Schaden selbst zu tragen hat (vgl. Pardey, DAR 2004, 499; Huber, NZV 2013, 6 f.).
Eine vorsichtige Absetzungsbewegung von dieser zu weit geratenen Haftungsbefreiung des Kindes hat die Rspr. mit der einschränkenden Auslegung vorgenommen, dass ein Unfall des Kindes mit einem parkenden Auto nicht in den Befreiungstatbestand des § 828 Abs. 2 BGB fallen sollte (vgl. BGH VersR 2005, 376; LG Saarbrücken NJW 2010, 844).
Der Gesetzgeber hatte in dem Regierungsentwurf des 2. Schadensrechtsänderungsgesetzes den Vorschlag festgehalten, zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse die Haftungsmöglichkeit des § 829 BGB zu beachten (vgl. BT-Drucks 14/7752 S. 16). Eine verbindliche Auslegungsrichtlinie ist mit dieser Bemerkung des Regierungsentwurfs nicht anzunehmen. Die Vorstellungen der Entwurfsverfasser beziehen sich allenfalls auf die Grundentscheidungen der Änderung des § 828 Abs. 2 BGB. Da man nicht erwarten kann, dass die Mitglieder des Gesetzgebungsausschusses den Entwurf Wort für Wort mit solcher Gründlichkeit durchgearbeitet und sich die Konsequenzen jeder einzelnen Formulierung genau überlegt haben, wozu sie zeitlich nicht in der Lage waren, stellte der recht vage Hinweis auf § 829 keinen Versuch einer Segelanweisung dar (vgl. eingehend Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl., S. 309).
Gegen die Heranziehung des § 829 BGB in den Fällen fehlender Verantwortlichkeit von Kindern im Straßenverkehr spricht es, dass damit die Wertentscheidung des § 828 Abs. 2 BGB, die auf Freistellung des Kindes ohne Wenn und Aber gerichtet ist, nicht respektiert wird (vgl. Jaeger/Luckey, a.a.O. Rn 1321). Unberücksichtigt bliebe bei der Heranziehung des § 829 BGB auch, dass § 828 Abs. 2 BGB das Lebensrisiko eines Unfalls mit einem Kind allein dem Kraftfahrer zuweist (vgl. Jahnke, zfs 2002, 105, 106; Karczewski, VersR 2001, 1070, 1074).
Schon diese Umstände sprechen gegen die Heranziehung des § 829 BGB zur Zubilligung von Schmerzensgeld gegen das im Straßenverkehr nicht verantwortlich handelnde Kind (§ 828 Abs. 2 BGB).
Hinzu kommt, dass das Vorliegen eines Gefälles in den Vermögensverhältnissen des schuldlos schädigenden Kindes gegenüber dem geschädigten Kraftfahrer im Regelfall erst durch den Eintritt der für das Kind bestehenden Haftpflichtversicherung hergestellt werden kann. Die Ausführungen des BGH zur fehlenden Rechtfertigung der Durchbrechung des Trennungsprinzips (Rn 10) lassen deutlich erkennen, dass in diesem Punkt ein weiteres nicht auszuräumendes Hindernis gegen die Anwendung des § 829 BGB vorliegt.
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 5/2017, S. 261 - 264