BeamtStG § 45 § 48; VwVfG § 40; BGB § 254 § 421 § 422
Leitsatz
1. Der Dienstherr ist nicht aufgrund der Fürsorgepflicht gehalten, durch technische oder organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass es erst gar nicht zu Handlungen des Beamten kommen kann, die wegen grober Fahrlässigkeit zu einem Schadensersatzanspruch des Dienstherrn gegen den Beamten gem. § 48 S. 1 BeamtStG führen.
2. Die Anordnung der gesamtschuldnerischen Haftung in § 48 S. 2 BeamtStG dient nicht dem Schuldnerschutz, sondern dem öffentlichen Interesse an der raschen Durchsetzung der Forderung des Dienstherrn. Dementsprechend ist es regelmäßig ermessensfehlerfrei, wenn der Dienstherr die Gesamtschuldner ungeachtet ihrer Verschuldens- oder Verursachungsbeiträge jeweils in voller Höhe zum Schadensersatz heranzieht.
BVerwG, Urt. v. 2.2.2017 – 2 C 22.16
Sachverhalt
Der Kl. wendet sich gegen die Heranziehung zum Schadensersatz wegen der Falschbetankung eines Polizeifahrzeugs. Er ist Polizeivollzugsbeamter des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Im August 2012 betankte er ein Einsatzfahrzeug mit Superbenzin anstatt mit Diesel-Kraftstoff. Der im Gerichtsverfahren beigeladene Beifahrer bezahlte den Kraftstoff. Anschließend fuhr der Kl. weiter, wodurch der Motor beschädigt wurde. Das Land nahm den Kl. und den beigeladenen Beifahrer jeweils wegen des Schadens in Anspruch. Auf die Klage des Beamten hat das VG Greifswald (Urt. v. 9.6.2016 – VG 6 A 59/15) den Bescheid des Landes teilweise aufgehoben. Der Schadensersatzanspruch des Landes sei aufgrund eines mitwirkenden Verschuldens des Dienstherrn zu kürzen. Der Dienstherr habe die ihm gegenüber dem Kl. obliegende Fürsorgepflicht dadurch verletzt, dass er keinen Tankadapter eingebaut habe, der die Falschbetankung verhindert hätte. Kl. und Bekl. haben die vom VG zugelassene Sprungrevision eingelegt.
2 Aus den Gründen:
[11] "… II. Die Sprungrevision des Bekl. ist begründet. Das Urt. des VG verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), soweit es die Bescheide des Bekl. über die Heranziehung des Kl. zum Schadensersatz wegen der Annahme eines Mitverschuldens des Dienstherrn aufgehoben hat. Die Sprungrevision des Kl. ist unbegründet, weil die Bescheide über seine Heranziehung zum Schadensersatz in vollem Umfang rechtmäßig sind."
[12] 1. Nach § 48 BeamtStG haben Beamte, die vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihnen obliegenden Pflichten verletzen, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben sie wahrgenommen haben, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Haben mehrere Beamte gemeinsam den Schaden verursacht, haften sie als Gesamtschuldner.
[13] Bei der Betankung des mit einem Dieselmotor ausgestatteten Polizeifahrzeugs mit Superbenzin hat der Kl. i.S.v. § 48 S. 1 BeamtStG grob fahrlässig die ihm obliegende Dienstpflicht verletzt, das ihm vom Dienstherrn anvertraute dienstliche Material sorgsam zu behandeln.
[14] Der Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten des Beamten. Dementsprechend muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, d.h. der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Beamten beurteilt werden, ob und in welchem Maß das Verhalten fahrlässig war. Grobe Fahrlässigkeit erfordert ein besonders schwerwiegendes und auch subjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten, das über das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich hinausgeht. Grob fahrlässig handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich schwerem Maße verletzt und dabei Überlegungen unterlässt und Verhaltenspflichten missachtet, die ganz naheliegen und im gegebenen Fall jedem hätten einleuchten müssen (BVerwG, Urt. v. 29.4.2004 – 2 C 2.03, BVerwGE 120, 370 <374>). Diese Voraussetzungen sind hier im Hinblick auf die Betankung des Polizeifahrzeugs mit Superbenzin erfüllt.
[15] Das VG hat für das Revisionsgericht bindend festgestellt, dass im Bereich des beklagten Polizeipräsidiums zum Zeitpunkt des Vorfalls ausschließlich Dieselfahrzeuge verwendet wurden und dass dem Kl. am Tag des Vorfalls auch bewusst war, mit einem Dieselfahrzeug unterwegs zu sein.
[16] Jedem Kraftfahrzeugführer ist die Bedeutung der unterschiedlichen Kraftstoffarten bekannt. Um gravierende Schäden am Kraftfahrzeug zu vermeiden, leuchtet es jedem Nutzer ein, dass beim Betanken des Fahrzeugs auf die Wahl der richtigen Zapfpistole und damit Kraftstoffart besonders zu achten ist. Dadurch dass sich der Kl. beim Tankvorgang nicht vergewissert hat, die richtige Zapfpistole gewählt zu haben, hat er diejenigen Verhaltenspflichten missachtet, die jedem Kraftfahrzeugführer beim Betanken eines Kraftfahrzeugs ohne Weiteres einleuchten. Umstände, die Anlass geben könnten, im konkreten Fall den Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht ausnahmsweise anders zu bewerten, hat das VG nicht festgestellt.
[17] 2. Der Anspruch des Dienstherrn des Kl. auf Ersatz des durch die Falschbetankung entstandenen Schadens ist nicht wegen eines Mitverschuldens des Dienstherrn nach § 254 BGB zu reduzieren. Denn der Dienstherr des Kl. war – entgegen der Annahme des VG – nicht aufgrund der all...