Ob einen VN eine "spontane", von ausdrücklichen Antragsfragen des VR, also den Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 VVG, unabhängige Anzeigeobliegenheit trifft, war lange Zeit umstritten. Nachdem der BGH in seiner Entscheidung v. 25.11.2015 (zfs 2016, 92) darauf aufmerksam gemacht hat, dass sich das Regime der Arglistanfechtung nach § 22 VVG ausschließlich nach dem BGB richtet und von § 19 VVG nicht beeinflusst wird, liegt es nahe, auch das arglistige Verschweigen von nicht erfragten Gefahrumständen als rechtlich relevante Täuschung zu betrachten, also eine Aufklärungspflicht des ASt. anzunehmen. Die obergerichtliche Rspr. hat dem allerdings Schranken gesetzt: Nur wenn es um Umstände geht, die so fernliegend und selten sind, dass dem VR nicht vorgeworfen werden kann, nicht nach ihnen gefragt zu haben, müsse der ASt. von sich aus darauf aufmerksam machen (OLG Hamm zfs 2015, 572).
Das LG Heidelberg geht darüber – zu Unrecht – weit hinaus. Nähme man ihm folgend auch dann eine Offenbarungsobliegenheit des VN an, wenn der VR ganz bestimmte Fragen nach schweren Vorerkrankungen stellt, der ASt. jedoch an einer anderen (keineswegs "exotischen", aber schweren) Krankheit leidet, würde man die Risikoprüfung letztlich – entgegen der klaren Intention des Gesetzgebers – auf den VN verlagern. Ein VR verfügt einem ASt. gegenüber regelmäßig – jedenfalls bei Abschluss einer alltäglichen Personenversicherung – über weit überlegene Sachkunde. Gibt er einem VN durch eine Frage nach einigen wenigen Krankheiten zu erkennen, dass ihn diese interessieren, so grenzt er damit – auch aus der Sicht eines verständigen VN – sein Informationsinteresse abschließend ab. Gerade auch die Abweichung von ansonsten üblichen allgemeinen Fragen nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden kann den VN zur Annahme führen, diesem VR komme es nur auf bestimmte gesundheitliche Umstände an. Dem VN aufzuerlegen, weitere gesundheitliche Belastungen von sich aus darzulegen, würde dessen Einschätzungsfähigkeiten zu seinen Lasten einseitig überfordern. Er müsste selbst die Schwere einer nicht erfragten Erkrankung beurteilen und hinnehmen, dass sich seine Beurteilung im Ergebnis mit bitterer Konsequenz nicht als verlässlich erweisen würde.
Wie wenig das LG Heidelberg sich darüber im Klaren war, zeigt das Vorbringen des VR im Rechtsstreit selbst: Der hatte sich (jedenfalls primär) nur auf eine falsche Antwort auf die Frage nach aktuellen gesundheitlichen Einschränkungen der beruflichen Tätigkeit des VN berufen. Es wird ihn gefreut haben, dass das LG ihm dann weiter entgegengekommen ist, als er es selbst für richtig hielt.
Prof. Dr. Roland Rixecker
zfs 5/2017, S. 275 - 277