ZPO § 91 Abs. 1 S. 2; JVEG § 20 § 22
Leitsatz
Einer Partei, die zur notwendigen Wahrnehmung von Terminen (hier: Gerichts- und Ortstermine) bezahlten Urlaub genommen hat, steht kein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO i.V.m. § 22 JVEG, sondern nur ein Anspruch auf Zeitversäumnisentschädigung gem. § 20 JVEG zu.
BGH, Beschl. v. 26.1.2012 – VII ZB 60/09
Sachverhalt
In dem Rechtsstreit vor dem LG hatte die Kl. restlichen Werklohn für ihre Arbeiten an den Neubauvorhaben der Bekl. geltend gemacht. Die Bekl. hatten am 8.3.2006, 18.9.2006 und 10.3.2008 an Gerichtsterminen teilgenommen. Hinsichtlich der ersten beiden Termine hatte das Gericht das persönliche Erscheinen der Bekl. angeordnet. Ferner hatten die Bekl. am 7.3.2007, 18.9.2007 und 3.10.2007 Ortstermine mit dem gerichtlich bestellten Sachverständigen wahrgenommen. Für die Teilnahme an diesen Terminen, zu denen sie sich nach ihrem Vortrag jeweils einen Tag bezahlten Urlaub genommen hatten, hatten die Bekl. im Kostenfestsetzungsverfahren Verdienstausfall mit einem Stundensatz von 17 EUR geltend gemacht. Die Rechtspflegerin des LG hat stattdessen lediglich eine Zeitversäumnisentschädigung mit einem Stundensatz von 3 EUR berücksichtigt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Bekl. hat das OLG zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde der Bekl. hat der BGH zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
[6] "… Einer Partei, die zur notwendigen Wahrnehmung von Terminen bezahlten Urlaub genommen hat, steht kein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO i.V.m. § 22 JVEG, sondern nur auf Zeitversäumnisentschädigung gem. § 20 JVEG zu."
[7] a) Die Frage, ob eine erstattungsberechtigte Partei, die zur Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen bezahlten Urlaub genommen hat, Entschädigung für Verdienstausfall oder nur für Zeitversäumnis erhält, ist in Rspr. und Literatur umstritten. Während die überwiegend vertretene Ansicht nur eine Zeitversäumnisentschädigung anerkennt (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1997, 1070 f.; OLG Stuttgart JurBüro 1992, 123; LAG Düsseldorf JurBüro 1992, 686, 813; OLG Schleswig JurBüro 1991, 545 f.; OLG Hamm Rpfleger 1991, 266 f.; OLG Koblenz MDR 1986, 328 f.; KG JurBüro 1983, 738 ff.; OVG Lüneburg JurBüro 1983, 1180 f.; OLG München MDR 1981, 163 u. JurBüro 1973, 349 ff.; Binz/Dorndörfer/Petzold/Zimmermann, GKG, 2. Aufl., § 22 JVEG Rn 3; Hartmann, KostG, 38. Aufl., § 22 JVEG Rn 19 f.; Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl., § 22 Rn 22.20; Schneider, JVEG, 1. Aufl., § 22 Rn 26; Zimmermann, JVEG, 1. Aufl., § 22 Rn 6 ff.; Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 91 Rn 13 “Zeitversäumnis'), hält die Gegenansicht die Gewährung einer Verdienstausfallentschädigung für gerechtfertigt (vgl. OLG Karlsruhe Die Justiz 1987, 156; OLG Celle JurBüro 1982, 107 f.; OLG Frankfurt JurBüro 1981, 1700 ff.; LG Freiburg MDR 1993, 89; AG Lübeck Rpfleger 1995, 127).
[8] b) Zu Recht hat sich das Beschwerdegericht der erstgenannten Meinung angeschlossen.
[9] aa) Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen ist der Wortlaut von § 22 JVEG. Diese Vorschrift ist auf den Anspruch einer erstattungsberechtigten Partei entsprechend anwendbar, weil die Verweisung in § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO entgegen ihrem Wortlaut nicht nur die “Zeitversäumnis' nach § 20 JVEG, sondern auch den “Verdienstausfall' nach § 22 JVEG umfasst (dazu BGH RVGreport 2009, 113 (Hansens) = AGS 2009,100; Lappe, NJW 2006, 270, 275).
[10] Entsprechend § 22 JVEG erhalten Parteien, “denen ein Verdienstausfall entsteht', eine Entschädigung, die sich nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst richtet und die für jede Stunde höchstens 17 EUR beträgt. Der Gesetzeswortlaut setzt damit einen tatsächlich entstandenen Verdienstausfall voraus, woran es im Fall des bezahlten Urlaubs fehlt, weil die Partei während dieses Zeitraums ihren Lohn bzw. ihr Gehalt ungeschmälert weiter erhält (Zimmermann, JVEG, 1. Aufl., § 22 Rn 8). Tritt ein Verdienstausfall nicht ein, kommt folglich nur eine Zeitversäumnisentschädigung nach § 20 JVEG in Betracht.
[11] bb) Dies entspricht auch der Gesetzesbegründung zu §§ 20, 22 JVEG, die auf die früher für die Zeugenentschädigung geltenden Regelungen in § 2 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) verweist (BT-Drucks 15/1971, S. 185 f.). Den Gesetzesmaterialien zu dieser Vorschrift wiederum ist zu entnehmen, dass ein Zeuge für seinen Verdienstausfall nur dann entschädigt wird, wenn er einen solchen tatsächlich erlitten hat (vgl. BT-Drucks 2/2545, S. 213; BT-Drucks 10/5113, S. 58). Auch vor der Einführung des ZSEG hat nichts anderes gegolten. Bereits in der Begründung für die bis dahin geltende Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige (nachgewiesen in Wegner, Deutsche Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige, 8. Aufl. [1934], § 2 Rn 8, 11) wurde ausgeführt, dass die Erwerbsversäumnis bei der Bemessung der Zeugenentschädigung nur dann berücksichtigt wird, wenn sie tatsächlich angefallen ist.
[12] cc) Es besteht kein Anlass, § 22 JVEG über dessen Wortlaut hinaus dahingehend...