[12] "… II. … Die Feststellungen des BG vermögen dessen Annahme einer teilweise gegebenen Arbeitsfähigkeit des Kl. im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu tragen."

[13] 1. Im Ansatz zutreffend geht das BG allerdings davon aus, dass bereits eine nur zum Teil gegebene Arbeitsfähigkeit genügt, um den Anspruch auf Krankentagegeld auszuschließen. Diese setzt aber voraus, dass der VN in der Lage ist, dem ausgeübten Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung mindestens teilweise nachzugehen (Senat VersR 1993, 297 unter II 1).

[14] 2. Hierfür genügt es entgegen der Auffassung des BG nicht, dass der Versicherte lediglich zu einzelnen Tätigkeiten in der Lage ist, die im Rahmen seiner Berufstätigkeit zwar auch anfallen, isoliert aber keinen Sinn ergeben. Dies schließt es aus, bei einem selbstständig tätigen Rechtsanwalt, der eigenständig Mandate bearbeitet, nur auf einen Ausschnitt der dabei anfallenden Aufgaben, wie zum Beispiel das Führen von Mandantengesprächen, abzustellen. Vielmehr stellt die Fähigkeit zum flüssigen Lesen und Durcharbeiten von Texten regelmäßig eine Grundvoraussetzung für das Ausüben des juristischen Berufs dar; für den Beruf des Rechtsanwalts ist eine weitgehend erhaltene Lesefähigkeit unabdingbar. Nur so ist für den Rechtsanwalt – mag auch eine Übernahme von Mandaten nur in reduziertem Umfang möglich sein – die Fähigkeit zur umfassenden Bearbeitung dieser übernommenen Mandate und Vertretung des Mandanten gegeben.

[15] Nichts anderes ergibt sich aus dem vom BG für seine Auffassung herangezogenen Senatsurt. v. 18.7.2007 (VersR 2007, 1260). Zwar hat der Senat dort bei einem Architekten, der nachweislich an drei Tagen Akquisetätigkeit ausgeübt hatte, diese Tätigkeit für den Verlust des Tagegeldanspruchs ausreichen lassen, allerdings nur für jene drei Tage. Diese Rechtsfolge ergab sich allein aus dem Tatbestandsmerkmal “sie auch nicht ausübt' in § 1 Abs. 3 MB/KT. Dieses selbstständige Tatbestandsmerkmal knüpft an die tatsächliche Ausübung der Berufstätigkeit in Teilbereichen trotz insgesamt weiter vorliegender Arbeitsunfähigkeit an und sanktioniert eine solche Tätigkeit mit dem Verlust des Tagegeldanspruchs. Der Senat hat indes aus der Fähigkeit zur Akquise – obwohl er hierin eine teilweise Berufsausübung gesehen hat – gerade nicht generell auf eine teilweise Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit geschlossen. Er hat das dortige Berufungsurteil vielmehr hinsichtlich des weiteren Tagegeldanspruchs (für die anderen als die drei betroffenen Tage) aufgehoben und die Sache insoweit an das BG zurückverwiesen (a.a.O. Rn 44).

[16] 3. Nicht zu folgen ist der Annahme des BG, der Kl. könne zumindest ein bis zwei Mandate pro Woche bearbeiten, wenn er sich auf Mandate für “einfache Kündigungsschutzklagen' und im Übrigen auf Rechtsgebiete beschränke, in denen eine Fortbildung durch Vorträge möglich sei, so dass sein Haftungsrisiko das gewöhnliche Maß nicht übersteige. Das BG hat die Anforderungen, die an einen Rechtsanwalt bei seiner Berufsausübung nach gefestigter Rspr. zu stellen sind, in grundsätzlicher Weise verkannt, weshalb die getroffenen Feststellungen die Annahme einer teilweise wiederhergestellten Arbeitsfähigkeit nicht zu tragen vermögen.

[17] a) Einen Rechtsanwalt treffen bei der Bearbeitung jedes Mandats umfassende Sorgfaltspflichten.

[18] aa) Er ist insb. gehalten, die höchstrichterliche Rspr. anhand der amtlichen Sammlungen und der einschlägigen Fachzeitschriften zu verfolgen (BGH WM 2010, 2050 Rn 17 [für Steuerberater]; NJW 2001, 675 unter II 1). Wer wie der Kl. fünf Jahre lang nicht gearbeitet und sich deshalb nicht auf dem Laufenden gehalten hat, muss die Entwicklung dieser Rspr. zudem bei jedem einzelnen Mandat für die sich dort stellenden Fragen überprüfen. Die Übernahme des Mandats verpflichtet ihn, sich die Kenntnis von der maßgeblichen höchstrichterlichen Rspr. zu verschaffen (Böhnlein, in: Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 43a Rn 97). Insoweit ist vom Rechtsanwalt auch zu verlangen, dass er sich anhand aktueller Kommentierungen über die Rechtslage informiert (vgl. beispielhaft OLG Frankfurt am Main FamRZ 1991, 1047). Es liegt auf der Hand, dass die Erlangung der notwendigen Kenntnisse allein durch den Besuch einzelner Fortbildungsveranstaltungen, die i.d.R. einen begrenzten Themenkomplex oder aktuelle Entwicklungen betreffen, nicht gewährleistet werden kann.

[19] bb) Darüber hinaus muss der Rechtsanwalt auch an der Klärung des Sachverhalts mitwirken. Er wird sich zwar im Ausgangspunkt zunächst auf die Sachverhaltsdarstellung seines Mandanten verlassen können, der ihn zutreffend über die relevanten tatsächlichen Umstände zu informieren hat. Da ein Mandant aber als juristischer Laie i.d.R. nicht zuverlässig beurteilen kann, worauf es rechtlich ankommt, hat der Anwalt ggf. nachzuhaken und mittels ergänzender Fragen die wirklich maßgeblichen Fakten zu ermitteln. Auch dabei wird er vielfach gezwungen sein, umfangreichere Urkunden und Texte, im Arbeitsrecht zum Beispiel einen Tarifvertrag oder Vertr...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?