1. Eine fehlende Fabrikneuheit des verkauften Neuwagens lag deshalb vor, weil das Fahrzeug selbst nach dem zweiten Nachbesserungsversuch und zum Zeitpunkt der zweiten fehlgeschlagenen Übergabe noch Mängel aufwies. Diese bedeutsame Fallgruppe fehlender Fabrikneuheit tritt neben die Fallgruppe von mehr als 12 Monaten Lagerhaltung des Neufahrzeugs (vgl. BGH NJW 2004, 160), wobei kurzzeitige Überschreitungen um einige Tage unschädlich sind (vgl. LG Flensburg SP 2007, 409), fehlende Modellaktualität (vgl. BGH NJW 2003, 2824), was insb. den Wechsel der Herstellung der Modelle, oft mit überlappenden Produktionsumstellungen erfasst, und die außerhalb des Produktionsprozesses eingetretenen Beschädigungen, wie hier vorliegend umschrieben (vgl. auch Reinking/Eggert, Der Autokauf, 11. Aufl., Rn 504–572).
2. Tragend für die vom BG angenommene fehlende Rücktrittsmöglichkeit war bei Bejahung des Rücktrittsrechts des Käufers damit die Frage, ob die Rückabwicklung an der Unerheblichkeit der Pflichtverletzung scheitere oder nicht (§ 323 Abs. 5 S. 2 BGB):
Unerhebliche Minderungen der Gebrauchsfähigkeit der verkauften Sache schließen lediglich den Rücktritt und die Geltendmachung des großen Schadensersatzanspruchs aus (vgl. §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 5 S. 2 BGB und §§ 437 Nr. 3, 281 Abs. 1 S. 3 BGB), dagegen nicht die Geltendmachung von Minderung, Nacherfüllung und kleinem Schadensersatzanspruch. Da der Bruch einer einfachen Beschaffenheitsvereinbarung nach der Auffassung des BGH die Annahme einer erheblichen Pflichtverletzung indiziert, war schon deshalb von der Unanwendbarkeit des Ausschlusses des Rechts zum Rücktritt nach § 323 Abs. 5 S. 2 BGB auszugehen (vgl. BGH NJW-RR 2010, 1289). Darüber hinaus sprach es gegen das Vorliegen unerheblicher Mängel, dass sich diese nicht allein in einem merkantilen Minderwert des Kfz auswirken, der weniger als 1 % des Kaufpreises beträgt (BGH NJW 2008, 1517) und die Kosten der Mängelbeseitigung Aufwendungen i.H.v. mehr als 1 % des Kaufpreises erforderlich machten (vgl. BGH NJW 2011, 2872).
3. Die Annahme des BG, von einer unerheblichen Pflichtverletzung sei deshalb auszugehen, weil die Mängel nur "optischer" Natur, damit für den Betrachter kaum wahrnehmbar seien, hat der BGH mit Recht verworfen. Aufschlussreich ist es, dass für den Bereich des Baurechts die vereinzelt vertretene Auffassung, es lägen bei optischen Mängeln von Bauwerken im allgemeinen hinzunehmende Unregelmäßigkeiten vor, die allenfalls Minderungen rechtfertigten, sich nicht durchgesetzt hat (vgl. Oswald, Die Beurteilung von optischen Mängeln, in Jahrbuch Baurecht, 1998, S. 357–381 m.w.N.).
RiOLG a.D. Heinz Diehl