VVG § 81 Abs. 2 § 28 Abs. 2; AKB 2008 A.2.2.2 2.3.1 E 1.1, 6.1
Leitsatz
1. Ein VN führt den Versicherungsfall grob fahrlässig herbei, wenn er nach dem Diebstahl des Zweitschlüssels seines später entwendeten Pkws aus einem in dessen Nähe vor dem Anwesen des VN im öffentlichen Verkehrsraum abgestellten Pkw keine Umprogrammierung des Schlosses veranlasst, sondern seiner Ehefrau lediglich aufträgt, eine Lenkradkralle anzubringen.
2. Das rechtfertigt eine Kürzung der Entschädigung um 50 %.
3. Hat der VN dem VR den Diebstahl des Zweitschlüssels nicht angezeigt, ist eine weitere Kürzung um 25 % angemessen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
LG Hechingen, Urt. v. 3.12.2012 – 1 O 124/12
Sachverhalt
Der Kl. macht gegenüber der Bekl. Ansprüche aus einem Vollkaskoversicherungsvertrag geltend, nachdem sein Fahrzeug nach einer behaupteten Entwendung in der Nacht v. 4.10. auf den 5.10.2010 bei einem Unfall einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitten hat. Der Kl. war Besitzer von 2 Fahrzeugen, des beschädigten Pkw M sowie eines Pkw R. Beide Fahrzeuge waren regelmäßig vor dem Wohnsitz des Kl. in der J.-Straße in A im öffentlichen Verkehrsraum abgestellt. Zwischen dem 20.9. und dem 23.9.2010 wurde der vor dem Gebäude abgestellte Pkw R aufgebrochen und aus diesem Fahrzeug mehrere Gegenstände, insb. aus dem Handschuhfach der Zweitschlüssel des Pkw M entwendet. Diesen Einbruch und die Entwendung des Schlüssels hat der Kl. bei der zuständigen Polizeidienststelle angezeigt, den Diebstahl des Zweitschlüssels jedoch der Bekl. nicht gemeldet. Die Schließanlage des Pkw M ließ er weder austauschen noch umprogrammieren. Der Kl. hat sich nach diesem Einbruch durch Anbringen einer Lenkradkralle beholfen. Einbruchspuren wurden am verunfallten Pkw M nicht festgestellt.
2 Aus den Gründen:
"… I. 1. Dem Kl. steht grds. ein Anspruch gegen die Bekl. zu, da zur Überzeugung des Gerichts die Entwendung des Pkw M durch einen Dritten feststeht, so dass Versicherungsschutz nach A.2.3.1 i.V.m. A.2.2.2 AKB 2008 besteht (wird ausgeführt)."
2. Ein Anspruch des Kl. besteht allerdings nur in Höhe eines Betrags von 1.483,53 EUR, da er sich zumindest in zweifacher Hinsicht grob fahrlässig verhalten hat, so dass eine – der Schwere des Verschuldens entsprechende – Anspruchskürzung nach § 81 Abs. 2 VVG, Ziffer E.6.1 S. 2 AKB 2008 i.V.m. Ziffer E.1.1 AKB 2008 vorzunehmen war.
a.) § 81 Abs. 2 VVG berechtigt den VR bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls die Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu kürzen. …
Der Umfang der Leistungsfreiheit bei grober Fahrlässigkeit bestimmt sich nach der Schwere des Verschuldens. Die im Gesetz vorgesehene Quotelung bedeutet, dass die an sich geschuldete Leistung um den Prozentsatz gekürzt werden kann, der für das Maß des Verschuldens auf einer Skala von 0 – 100 zu veranschlagen ist. … Gesichtspunkte der groben Fahrlässigkeit bzw. Kriterien hierfür sind die potenzielle Gefährlichkeit des Verhaltens des VN im Hinblick auf die Folgen, deren Eintritt die Obliegenheit verhindern soll; Kriterium kann auch die Dauer der Verletzung sein, sowie ob es sich um eine naheliegende, elementare Verhaltensnorm handelt oder nicht. Neben dem Grad der objektiv groben Fahrlässigkeit spielt auch das Ausmaß der subjektiven Unentschuldbarkeit eine Rolle, da grobe Fahrlässigkeit auch subjektive Unentschuldbarkeit voraussetzt ( … ).
Treffen mehrere Obliegenheitsverletzungen zusammen oder hat der VN daneben den Versicherungsfall nach § 81 Abs. 2 VVG herbeigeführt, ist eine einheitliche Quote unter Berücksichtigung aller Verstöße zu bilden. Wie die Quote zu bilden ist, ist ebenfalls umstritten. Zum Teil wird vorgeschlagen, die Quote ausschließlich nach dem schwersten Verstoß zu bestimmen, d.h. alle sonstigen Verstöße dahinter zurücktreten zu lassen; des Weiteren wird vorgeschlagen, die Quote des schwersten Verstoßes in einem angemessenen Maß zu erhöhen oder, was auf dasselbe hinauslaufen dürfte, zu einer wertenden Gesamtbetrachtung zu greifen. Teilweise wird auch eine Addition der einzelnen Quoten erwogen.
Eine andere Ansicht befürwortet ein Stufenmodell. Danach wird bei zwei Obliegenheitsverletzungen, die für sich allein betrachtet jeweils zu einer Kürzung von 50 % führen würden, die Quote wie folgt gebildet: Nach der ersten Kürzung um 50 % wird von dieser Summe nochmals die Hälfte abgezogen, sodass im Ergebnis dem VN 25 % verbleiben.
Nach diesem Stufenmodell ist aber nur dann vorzugehen, wenn es sich um mehrere Verstöße gegen Vorschriften mit unterschiedlichen Schutzrichtungen handelt, so etwa wenn § 81 Abs. 2 VVG mit der Verletzung einer Anzeige oder Aufklärungsobliegenheit zusammentrifft ( … ).
b.) Diesem Stufenmodell ist zuzustimmen ( … ). Nach oben dargelegten Kriterien ist dem Kl. ein grober Sorgfaltsverstoß zu machen. Der Kl. hat den Versicherungsfall durch ein eigenes grob fahrlässiges Verhalten i.S.v. § 81 Abs. 2 VVG herbeigeführt.
Bereits das Zurücklassen eines Ersatzschlüssels im unverschlossenen Handschuhfach des R, zumal dieser im öffentlic...