Der VR hat allgemein nur dann Ansprüche zu prüfen, wenn zum Zeitpunkt des betreffenden Unfallereignisses überhaupt Deckungsschutz bestand. Ist der VR nach §§ 37 bzw. 38 VVG leistungsfrei, weil die Prämien nicht bezahlt waren, dann besteht auch für den Retter kein Versicherungsschutz, da aus dem zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht gedeckten Vertrag von vornherein keine Ansprüche entstehen können. Gleiches gilt bei Versicherungsunfähigkeit der VP, sofern eine solche Regelung vereinbart ist.
Fraglich ist, ob Versicherungsschutz für den Lebensretter besteht, wenn mögliche Ansprüche aus dem Unfall der VP selbst letztlich nicht durchgreifen.
Beispiel 5
Die VP hat als Autofahrer einen schweren Verkehrsunfall, wird gerettet und erleidet eine unfallbedingte Gesundheitsschädigung. Der Retter hat bei der Rettungsaktion einen Unfall erlitten, der zu einer Invalidität führt. Bei der Prüfung des Unfallschadens der VP stellt sich heraus, dass sie stark alkoholisiert war und Versicherungsschutz nach Ziff. 5.1.1 AUB (Ausschluss von Geistes- und Bewusstseinsstörungen) für diesen Unfall ausgeschlossen ist.
Machte man den Versicherungsschutz des Retters davon abhängig, dass – bezogen auf den Unfall der VP – kein Ausschlussgrund vorliegen darf, hätte im Beispiel 5 der Retter keinen Anspruch auf Leistung, weil der Vertrag nach dieser Sichtweise insgesamt keinen Versicherungsschutz entfalten würde.
Diese Betrachtungsweise ist aber richtigerweise abzulehnen. Der Wortlaut der Retterschutzklausel verlangt lediglich allgemein die formale Stellung des Verunglückten als VP des (wirksamen) Unfallversicherungsvertrags. Diese Voraussetzungen sind mit dem Unfallereignis der VP gegeben und der Verunglückte bleibt auch dann formal eine VP des Vertrags, wenn Ansprüche wegen seines Unfalls aufgrund einer Ausschlussregelung nicht bestehen. Der Leistungsanspruch des Retters geht nicht durch einen Ausschlussgrund nach Ziff. 5 auf Seiten der VP unter, ebenso wenig wie eine Minderung der Leistung wegen einer Vorerkrankung der VP (vgl. Ziff. 3 AUB) auf die Höhe seines Leistungsanspruchs Einfluss hat. Es kommt für den Anspruch des Retters nur darauf an, ob für seine Person etwaige Leistungsausschlüsse oder Minderungsgründe vorliegen. Hierfür spricht neben dem eindeutigen Wortlaut der Retterschutzklausel auch, dass es andernfalls zu unbilligen Ergebnissen für den Schutz des Lebensretters kommen würde, auf den die Klausel nach dem Verständnishorizont eines durchschnittlichen Bedingungsnehmers abzielt. Dieser Betrachtungsweise steht auch nicht Ziff. 1 AUB entgegen. Nach Ziff. 1.1 AUB bietet der VR Versicherungsschutz für Unfälle, die der VP während der Wirksamkeit des Vertrags zustoßen. Insoweit ist ein Unfall (oder eine erhöhte Kraftanstrengung) der VP Grundvoraussetzung, damit Ansprüche (auch für den Retter) aus dem Vertrag entstehen können. Eine weitergehende Verknüpfung der Ansprüche des Retters mit den Ansprüchen der VP besteht nicht.
Im Übrigen gehen Unklarheiten bei AGB (hier die AUB), wie sie sich aus der Regelung des Retterschutzes ergeben können, zu Lasten des Verwenders.